Gegensätzlicher als die letzte Schauspielpremiere könnte der Theaterabend in der im Gegensatz zur groß-großartigen Nüchternheit des Carlswerkes fast heimeligen Halle Kalk nicht sein. Ein raffiniert einfaches Bühnenbild, das seine Kulissenhaftigkeit von Anfang an ausstellt, und die beinahe schlicht wirkenden pragmatischen Kostüme von Rikke Juellund betonen die Formstrenge des schnörkellosen im Text durchaus bis zu sehr anspruchsvollen Textes, der vor allem eines ist, kurz, knapp, präzise, und in der Probenarbeit offensichtlich passgenau auf die Darsteller gearbeitet und in der Inszenierung ganz nah ans Publikum herangebracht wird, wortwörtlich, wenn Martin und Helene, die beiden Gestalten, deren Scheitern wir beobachten dürfen/müssen, ein Scheitern, das auf eine fast unspektakuläre Weise rührt und uns trotzdem nie überwältigt. Martin und Helene sind die nicht heldenhaften und vielleicht deswegen so bewunderungswürdigen Protagonisten, und der wunderbare Schriftsteller von Benjamin Höppner und die über fast zwei Stunden dahinsterbende Helene von Katharina Schmalenberg , die sich ein von Fick zu Fick außergewöhnlich geredetes Leben mit einem lakonisch kommentierten Suizid beendet und der Schriftsteller Martin den Rest gibt. Sie tragen neben dem Ehepaar Andreas und Sidse von Robert Dölle und Melanie Kretschmann, beinahe autistisch-narzistisch mit der eigenen Ehe beschäftigt, den Abend, Letzere der glatt-gegenwartswendige Gegenentwurf zum Leiden von Helene und Martin an der Unerklärbarkeit einer paradox krisenhaften europäischen Finanzkrisengegenwart und der letztendlichen Undurchdringlichkeit einer weder durch Kunst noch durch Leben ertragbaren Wirklichkeit, in der sich vielleicht frei nach Baudrillard nur noch die schmerzhafte Aktion erfühlen lässt, sich das Leiden der Leidenschaft lebendig anfühlt.
Es gibt eine Menge komischer Momente, aber es ist nicht das Sprachgesudel manch moderner Gegenwartsdramatik, sondern die Schauspielkunst in einem nie auf Effekt abzielenden durch und durch schauspielergängigen Text, das diese Lacher schafft, ein Ensemble, das im präzisen, aber ebenfalls einfach gehaltenen Licht von Michael Frank einem für Gegenwartstheater beinahe ungewohnt hörspielartigen Sounddesign mit sehr markanten Rockpassagen daherkommt, das aber auch nicht vor dem ironischen I-did-it-my-way-Zitat zurückschreckt.
Man spürt, dass an diesem Theaterabend ein Schauspielerautor auch die Regie übernommen hat, denn, was in den rund einhundertzwanzig Minuten geboten wird, das ist wundervolle und gleichzeitig unpretentiöse Schauspielkunst, die Magda Lena Schlott als die Kleine, Sean McDonagh in diversen Rollen, Lars Jackson als junger Mann, Peter Strogalski als ältester Mann Europas mit der hinreissenden Stimme von Martin Reinke und der Regiehospitant Omid Tabari vervollständigen, wobei sich Letzterer sozusagen in seiner theatralischen Funktion selber spielt, und alle und alles die Künstlichkeit des Ablaufs weiter betonen, wobei wir Zuschauer stetig und immer in einen Sog einer beinahe leeren Bühne mit wenigen und einfachen Stühlen letztendlich nur diesen hinreissenden Schauspieler geraten, die gar nicht so spektakuläre Worte reden, aber sehr markante Inhalte formulieren.
Frau Jelinek und die Kontrakte des Kaufmanns haben vor fünf Jahren für eine letztendlich wesentlich pretentiösere Präsentation geringeren Erkenntniswertes doppelte Länge und wesentlich weniger Schauspielkunst benötigt. Langsam ziehts uns in einen Diskurs und in sorgfältig und feingearbeitete Bilder, die manchmal die Wucht von Botho-Strauß-Stücken aus den Achtziger erreichen, wobei damals die Wirklichkeit, nicht aber die Einsamkeit, durchdringlicher waren. Mir fällt die falsch verbundene Lotte ein, die auch keine Paare und Passanten findet, so wie Martin und Helene auf Andreas und Sidse und deren kaltegozentrische Ichbezogenheit treffen, manchmal fast farceartig bewegt, während Helene, die am Ende und am geschickt verschachtelten Anfang, der eigentlich das Ende des Stücks zeigt, tot ist, einen langen Theaterabend dahinstirbt, während die bunte Sinnenhaftigkeit einer existenzsinnentleerten Wirklichkeit als manchmal sogar makabere Federwisch- und angeblich wichtige Kunstmarktorientierung sie direkt und im übertragenen Sinne zu Tode fickt, wie Othello weiland in Zadeks legendärer Hamburger Inszenierung seine Desdemona. Hier ist es aber nicht mehr auszumachen, wer die Ursache ist, es geht nur noch ums Sterben oder ums Überleben, und das bekommt auf einmal ganz kunstvoll leicht die Wucht einer antiken Tragödie mit irritierend starken Momenten der Irritation über das IST, die der langanhaltende und sehr zustimmende Beifall beinahe überdeckt, ich bekenne es zu meiner Schande, auch so mancher (meiner) Lacher, auch wenn Lachen erlaubt sein sollte.
Und dann diese lakonische Lapidarität von Sidse und Andreas:
Ach was. Das ist ja nur ein Tag. Ein Tag im Leben.
Ja nur ein Tag.
Nehmen wir halt mit, was uns hier nützlich vorkommt. Den Rest lassen wir hinter uns. Wie üblich, ja?
Ja, wie üblich.
So lässt sich der undurchdringliche Schrecken der andauernden Krisengegenwart privat, politisch und gesellschaftlich kunstvoll sinnleer zumindest überleben.
Dank an alle für einen nicht ganz gewöhnlichen Theaterabend.
Das soll ein erster Eindruck sein, eine Analyse folgt nach einer Wiederholung des Theatererlebnisses nebst Lektüre der endgültigen Textfassung. Ich wiederhole mich gerne: Das ist wieder tolles Theater bei Schauspiel Köln.....
Fotos in der Bilderfassung:
http://namkoartist.wordpress.com/2014/01/22/helenes-albtraumfahrt-in-die-holle-der-europaischen-welt/