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Abgefahren. Warum wir mehr Jürgen Klopp brauchen

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Der „Spurenwechsel" von Tina Müller aus der Kosmetikbranche in den Vorstand des Autobauers Opel war eine der am meisten kommentierten Personalien des vergangenen Jahres. Nach ihrem Start in Rüsselsheim machte sie eine intensive Trainings-Session, in der sie sich mit technischen Details vertraut machte: wie die Kupplung verläuft, Bremsen funktionieren oder Schweißnähte die Karosserie zusammenhalten. Ölige Motoren statt Haare - das bedeutete für Tina Müller: von null auf hundert kommen und sich auf Themen des Kerngeschäfts zu konzentrieren.

Gleich an ihrem zweiten Arbeitstag wurde der neue Werbespot mit Fußballtrainer Jürgen Klopp für den Insignia gedreht. 2008 wechselte er von Mainz nach Dortmund, wo er die Borussia zu einem europäischen Spitzenteam aufgebaut hat: "Er ist einer von uns. Er steht für alles, was Opel ausmachen soll: Energie, Sympathie, Leistung und natürlich Begeisterung. Und wenn es nach mir geht, werden wir mit ihm jedes Jahr die Deutsche Meisterschaft feiern, auch im Jahr 2022."

Jürgen Klopp ist für sie momentan der ideale Markenbotschafter, weil er kein kalter Techniker ist, sondern ein Trainer, der Emotionen zeigt, Menschen berührt und weiß, wie man sie bewegt, auch wenn es mal nicht so läuft. In vielen Interviews betont er, dass ihm Mannschaft und Verantwortliche „ans Herz" gewachsen sind. Für einen wie ihn ist das keine Phrase. Das Herz ist das Innerste des Menschen, das Zentrum der Gefühle, wo Leben und Liebe ihren Anfang nehmen. Schon in der Bibel heißt es in 1. Samuel 16, 7: „Denn nicht sieht der Herr auf das, worauf ein Mensch sieht. Ein Mensch sieht, was vor Augen ist; der Herr aber sieht das Herz an."

Echte Liebe, wie er und sein Verein sie verkörpern, stellen niemals etwas anderes dar, als sie ist. Glaubwürdigkeit, Vertrauenswürdigkeit und Authentizität werden hier zu lebendiger Markenbildung. Jürgen Klopp verleiht ihr eine stabile Identität. Das macht ihn zu einer idealen Projektionsfläche, „denn wenn er Opel fährt und die Marke gut findet, dann kann auch jeder andere wieder Opel fahren, ohne um sein Image zu fürchten", schreibt Tina Müller in ihrem Buch „Warum Produkte floppen. Die 10 Todsünden des Marketings" (mit Hans-Willi Schroiff , Haufe, 2013). Dabei ist darauf zu achten, dass in der Werbung die Verknüpfung zwischen Marke und Testimonial eindeutig und stark ist, damit dieser positive Imagetransfer nachhaltig gelingen kann.

Jürgen Klopp ist einer aus der Mitte der Gesellschaft - genauso wie Opel als Marke: Die neuen Modelle zeigen moderne deutsche Ingenieurskunst, die sich jeder leisten kann. Tina Müller ist davon überzeugt, dass die Marke emotional und sympathisch zu positionieren ist. Bild.de sagte sie vor ihrem Wechsel zu Opel: "Wir brauchen mehr Jürgen Klopp". Und das gilt nicht nur für Opel, sondern für die gesamte Gesellschaft, in der nur wenige Typen zu finden sind, die sich gewissermaßen selbst zu einer „guten" Marke machen, die mit Leidenschaft für ihre Sache brennen und Hunger auf das Unverwechselbare haben. Denn wovon leben Unternehmen und Fußballvereine? Doch nur vom Unterschied, der eine der wichtigsten und innovativsten Kräfte des Marktes ist. Und des Lebens. In Zeiten der Gleichmacherei fällt auf, was besonders und anders ist, auch wenn es allein nicht genügt.

Identität als Marke oder Persönlichkeit braucht, um erfolgreich zu sein, vor allem nachhaltigen Nutzen und Relevanz. Wer danach fragt, was wichtig ist, macht gleichzeitig Unterschiede deutlich, denn Relevanz heißt auch vergleichen. Aber auch nachhaltig sein: Es geht um die Folgen und die Wirkung über den Tag hinaus. Vor diesem Hintergrund erschließt sich auch die Leitfrage der neuen Generation Y: „Was ist für uns relevant?" Allerdings muss Relevanz auch genauso unverwechselbar vermarktet und kommuniziert werden. Fehlende Abgrenzung führt auch im konventionellen Wettbewerb dazu, „mit anderen über einen Kamm geschoren zu werden", sagt Uwe Johänntgen, Leiter Gesamtmarketing bei der memo AG, die für eine Symbiose von ökologischem und sozialem Engagement mit ehrgeizigen betriebswirtschaftlichen Zielen und qualitativ hochwertigen Produkten steht.

Leider werden die Werkzeuge für Marketing und Kommunikation in ihren Einsatzmöglichkeiten häufig überschätzt. Die besten Methoden sind nichts wert, wenn die Substanz der Marke weder relevant noch attraktiv ist. Denn was langweilt, gerät schnell aus dem Blickfeld. Und wer im Zeitalter der Aufmerksamkeit nicht mehr wahrgenommen wird, wird schnell vergessen.

In ihrem Buch analysiert Tina Müller die Ursachen des Misserfolgs und zeigt Gründe auf, warum im Wertschöpfungsprozess von Unternehmen einiges permanent falsch läuft. Zum Beispiel, wenn Markenarbeit lediglich eine losgelöste Aufgabe im luftleeren Raum und nicht in die Gesamtstrategie des Unternehmens integriert ist oder die Verantwortlichen innerhalb der Organisation kein Rückgrat haben, um Entscheidungen zu treffen, wenn Markenführung kein klar strukturierter Planungs- und Entscheidungsprozess ist oder Markenwerte kurzfristiger Umsatz- und Gewinnmaximierung zum Opfer fallen: „Mit Marken ist es wie mit einer heißen Herdplatte: Es dauert länger, bis sie kalt ist, aber wenn sie einmal kalt ist, dann bedarf es sehr viel mehr Energie, sie wieder warm zu bekommen."

In den Neunzigerjahren hatte Opel Qualitätsprobleme, und die Modelle entsprachen nicht dem Zeitgeist. Das hat dem Image der Marke nachhaltig geschadet. Opel hatte also kein Bekanntheitsproblem, sondern ein Imageproblem: "Wenn man bei einer Marke ein Imageproblem hat, dann muss man in erster Linie daran arbeiten und erst in zweiter Linie für das Produkt werben" ,sagte sie in einem Interview mit der "Wirtschaftswoche".

Im Sinne der Nachhaltigkeit sollte sich das Image im besten Wortsinn „natürlich" aus der Geschichte und der Qualität eines Produkts ergeben. Allerdings liefert der Markt viele Beispiele dafür, dass sich das Image häufig „aus einer gelungen Inszenierung, Positionierung und Bewerbung des Produktes bzw. des Unternehmens ergibt und den Emotionen, die beim Kunden geweckt werden", bestätigt Uwe Johänntgen.

Um verstärkt jüngere Zielgruppen und Frauen anzusprechen, will Tina Müller Opel zu einer Lifestyle-Marke umbauen. Gerade einige männliche Kritiker verweisen darauf, dass das nur die Folge ihrer Vergangenheit in der Kosmetikbranche ist und sich Marketingansätze nicht einfach übertragen lassen. Das tut sie auch nicht, denn es ist nur die logische Folge einer Entwicklung, die nicht mehr aufzuhalten ist. Denn Experten bestätigen, dass 80% der Kaufentscheidungen heute von Frauen getroffen werden. Jedes dritte Auto gehört einer Frau. Vor zehn Jahren war es erst jede vierte.

An diesem Beispiel zeigt sich einmal mehr, wie wichtig es ist, Themen wie diese differenzierter zu betrachten und nicht vorschnell zu urteilen. Das ist auch ein wichtiger Aspekt im Buch von Tina Müller, die im Marketingkontext darauf verweist, dass immer häufiger und immer zwanghafter „irgendwelche Gefällt-mir-Knöpfe" gedrückt werden, „ohne sich die Zeit zu nehmen, dazu eine qualifizierte Meinung zu entwickeln. Oder aber sich mit der Meinung von anderen Personen reflektiert auseinanderzusetzen. Gründlichkeit wird häufig mit Langsamkeit verwechselt und in Leistungsbeurteilungen offiziell als negativ vermerkt. Und viel zu früh verwerfen wir etwas, weil wir glauben, besonders rasch ein Urteil darüber abgeben zu müssen, ob es etwas taugt oder nicht."

Für eine differenzierte Betrachtungsweise plädiert auch Katja Kraus in ihrem Buch „Macht. Geschichten von Erfolg und Scheitern". Hier schließt sich der Kreis zum Thema Menschen, Marken und Moral - und Fußball. Kaum ein anderer Sport ist so emotional und kaum „eine Siegerpose strotzt nur so vor positiven (männlichen) Emotionen wie die des Fußballs. Das Gleiche gilt auch für den hohen Identifikationsgrad für die Zuschauer und damit lässt sich das Fußballthema ideal nutzen, um Emotionen wie Sieg und Gemeinschaftsgefühl, aber auch Frust und Zusammenhalt in der Niederlage für die eigene Marke zu kapitalisieren" (Tina Müller).

Die Fußballclubs der Bundesliga haben sich - gemessen an ihrem Umsatz, den Mitarbeiterzahlen und professionellem Organisationsgrad - von Vereinen zu Wirtschaftsunternehmen entwickelt, die sich in einem starken Wettbewerbsumfeld bewegen, in dem die Anspruchsgruppen sehr unterschiedlich sind und eine Fußballmarke auch von den Fans mitgestaltet wird.
Von 2003 bis 2011 war Katja Kraus Vorstandsmitglied des HSV. Ihre Aufgabe war es, aus einem traditionsreichen Fußballverein eine moderne, „emotionale" Marke zu machen: „Die Attraktivität zu erhöhen, Vermarktungsergebnisse zu steigern. Und dabei die kommerziellen Anforderungen eines wettbewerbsorientierten Wirtschaftsunternehmens mit den Eigentümlichkeiten eines Sportvereins in Einklang zu bringen. Vor allem aber war es mir eine Herzensangelegenheit", schreibt sie in ihrem Buch. Dazu gehörte es, den Markenkern zu definieren und die Marke HSV konsequent zu positionieren. Dabei ging es nicht nur um das Gewinnen von Spielen - vielmehr war sie davon überzeugt, dass es die Bindung verstärkt, wenn ein Fan weiß, „dass sein Verein zum Beispiel auch etwas für Kinder mit Migrationshintergrund tut. Deshalb haben wir den Hamburger Weg gegründet", sagte sie 2008 in einem Interview mit dem Magazin „Chrismon".

Gemeinsam mit der Hamburger Agentur Jung von Matt gründete sie im Juli 2013 mit dem Ex-Fußballprofis Christoph Metzelder und JvM/Fleet-Geschäftsführer Raphael Brinkert die neue Sportmarketingagentur Jung von Matt/Sports. Aus seiner Zeit bei Scholz & Friends stammt die vielbeachtete Kampagne "Der Hamburger Weg", die er zusammen mit Katja Kraus entwickelte. Hier zeigt sich auch der ganzheitliche Managementansatz, der sich durch eine Verknüpfung mit der Gesamtstrategie des Vereins auszeichnet (Auswahl von zur Clubmarke passfähigen Aktivitäten, Einbindung von strategischen Partnern, kommunikative Bündelung der Aktivitäten unter einem einprägsamen Markendach).

Am HSV zeigt sich allerdings auch, dass das Versagen in einem Realitätsbereich nicht durch Exzellenz in einem anderen Fach kompensiert werden kann. Selbst die Besten und Engagiertesten haben kaum eine Chance, sich gegen strukturelle Schieflagen durchzusetzen. Das ist eine der wichtigsten Erkenntnisse, die das Buch von Tina Müller und Hans-Willi Schroiff vermittelt: „Markterfolg basiert nicht auf dem Prinzip des Abitur-Durchschnitts. Da gibt es kein Wahlfach und keinen Leistungskurs, da müssen wir in allen Fächern spitze sein. Denn die Erfolgsfaktoren sind und bleiben multiplikativ miteinander verbunden. Ein fauler Apfel verdirbt das ganze Fass und ein eklatantes Versagen an einer einzigen Stelle der Wertschöpfungskette lässt eine sonst perfekt laufende Projektstruktur in sich zusammenbrechen."

Dieses Beispiel ist hier zwischengeschaltet, weil es zeigt, was Nachhaltigkeit im Fußball und in der Wirtschaft für das Kerngeschäft bedeutet: Um nicht zu floppen, muss es mit allen Teilen des Systems vernetzt sein. Auch prägende Charaktere wie Jürgen Klopp könnten es nicht gestalten, wenn die Voraussetzungen nicht optimal wären. BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke brachte dies 2012 in einem Gespräch mit der F.A.Z. auf den Punkt: „Wir sind gerade im fünften Kapitel: Das erste hieß Überlebenskampf, das zweite Restrukturierung, das dritte Erarbeitung einer sportlichen Philosophie, das vierte praktische Umsetzung - das haben wir auch hingekriegt, theoretisch schaffen das nämlich viele. Und das fünfte Kapitel heißt: Nachhaltigkeit."

Darunter versteht er, auch in den nächsten fünf bis zehn Jahren international überwiegend vertreten zu sein, oft auch in der Champions League - und das alles vor dem Hintergrund einer finanziell konservativen Unternehmensführung. In einem solchen Prozess ist „Echte Liebe" auch als Markenbotschaft der Schlüssel, um Nähe aufzubauen zu „Fans" und Kunden (Opel), die äußerlich nicht verführt werden müssen, weil ihre Leidenschaft schon entfacht ist für das, was ihren Geist und ihre Energie weckt.

Starke Marken und Persönlichkeiten wie Jürgen Klopp tragen dazu bei, gern vom Weg abzukommen, um nicht auf der Strecke zu bleiben. Das gilt auch für Themen wie Nachhaltigkeit. Losgelöst von Emotionen, Kreativität und Innovation spricht es niemanden an. Können Kennzahlen und Leidenschaft entfachen? Wohl kaum. Und genau das ist der springende Punkt. Alles, was die Zukunft prägen wird, ist nicht messbar, aber spürbar.

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