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Einfallslawine ohne Trashberührungsangst

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Simon Solberg inszeniert Schillers ,Kabale und Liebe' als temporeiche Einfallsfolge ohne Angst vor trashigen Aktualisierungen mit einem mitreißenden Schauspielquintett und einem herausragenden Bewegungsensemble junger Kölner Schauspielschüler im depot 1
im Kölner Carlswerk/Schauspiel Köln



Am Ende zelebriert Regisseur Simon Solberg sein vielleicht stärkstes Bild, die Projektion eines hochherrschaftlichen feudalen Schlosses auf einer Mauer aus den Paketpaletten des Bühnenbildes, begleitet von den Fernsehkameras, die Gerichtspräsident von Walter und der Wurm bedienen, nun in feudale Gesellschaftsuniformen gehüllt. Im langen qualvollen Ende sind Luise und Ferdinand verschieden, eng umschlungen im Tod vor der Kulisse der beiden Machtmenschen, hinreißend heutig die beiden Darsteller Anika Schilling und Marek Harloff, umgebracht nicht von einfacher Limonade sondern von bereits vorher schon einmal explodierender Coca-Cola und einemFeuerlöscher gefüllt mit ,capitalism'.

Die anderen weiblichen Wesen, die Millerin, und Lady Milford, beide nur herumgestoßen von den beiden Machtmännern und letztendlich beseitigt auf Snuffweise mit Plastiktüte und einer schwarzen Kapuze, dargestellt von der vielleicht stärksten Darstellerin, Sabine Waibel, in einem sowieso sehr starken Ensemble... aber das Blatt wendet sich, ein revoltierendes Volk im brennenden Land steigt auf die Mauerbarrikade und ersteigt sinbildlich die Mauern des Schlosses, mit roten Fahnen, auf denen ironischerweise ein Emblem prangt, das entfernt an das der Deutschen Bank erinnert. Irgendwann im Laufe des Abends ist die Gegensatzwelt von kaltem nüchternen Paketlager und Traumwelt von Ferdinand und Luise ins Fernsehen ,abgedriftet', die Glamorwelt, in der Lady Milford zuhause ist, vollgepackt jetzt mit zuvor spärlicheren Videoprojektionen und es ist beabsichtigte Verwirrung, dass der Glanzfaktor dazu führt, dass man gar nicht mehr so sicher sein kann, dass alles nicht sowieso Fernsehen oder Fassade ist.....

Und Wilhelm Eilers als zynisch-kalter golfspielender Geschäftsführer des Paketauslieferungslagers von amazon.as und Stefko Hanushevsky, sein Lagerverwalter/Sekretär Wurm als keineswegs devoter, sondern zuweilen schon dominierender Untergebener und ausführender Mordender versuchen sich und ihre Haut/Position an der Machtspitze zu retten, indem sie die allbekannten Machtphrasen von Walter Ullbricht bis zum Ehrenwort von Uwe Barschel, von Profalla bis Wulf reproduzieren... insofern fast tagesaktuell... man würde sich nicht wirklich wundern, wenn die trashige GNTM Parodie in Fernsehnachrichten kippen würde... man ist sich nicht sicher, ob das letzte Drittel der Geschichte vielleicht eine jener Nachmittagsbrüllfernsehlaientrashinszenierungen ist, die gerade der intellektuelle Nachwuchs der jungen Generation genauso gerne konsumiert wie früher die Niederbrülltalkshows...

Einen Moment Dunkel, einen Moment Stille, man weiß nicht ob leicht benommen von der handwerklichen Qualität des Abends und seinem zuweilen augen- und orenbetäubenden Tempo und seiner Überwältigungsbildhaftigkeit... oder weils ja doch zu Herzen geht, was den machtbehandelten Anderen so geschieht... die Kinder bleiben auf der Strecke, die so gerade und ehrlich liebende Luise und der von Wurm/Vater und ihren Schergen misshandelte Ferdinand, den der wie ein Geheimdienstler agierende Wurm nebst seinen aseptischen Erfüllungsgehilfen in weißen Staubanzügen ans Klavier nagelt, wo sie ihn vorher in einer Art Blut- und Gehirnwäsche gefoltert haben, so dass er gekreuzigt im Rollstuhl landet und im Hochzeitsanzug, an Sebastin Horsley erinnernd, wieder aufersteht, bevor er die vermeintliche Verräterin Luise - der vergiftete Brief geht an Wurm, (denn der Hoffmarschall von Kalb und der Herr Miller fehlen, sind nicht notwendig für diese Version der Geschichte) aber nicht als Schriftstück, sondern als Youtubevideo - mit in den Selbstmord nimmt.....

Kinder tot, Frauen tot und gleich erwischt es sicher Wurm und von Walter, aber die die da bereits im Hintergrund lauern, werden wohl nur für eine ewige Fortsetzung des Dramas sorgen, nicht zu vergessen, dass das Emblem der Firma Walter an Bayer erinnert und der Herr Gerichtspräsident/Geschäftsführer von amazon.as ein internationaler Waffenschieber ist....Ende...Black...kurze Pause und ein zunächst etwas zaghaftes Klatschen, das sich zum berechtigten Jubel auswächst, wobei ich wetten könnte, dass die Kritiker im Gegensatz zum rundum begeisterten Publikum, das im Beifall auch beim Auftritt von Regisseur Simon Solberg nicht nachlässt, der auch für das äußerst variable Bühnenbild verantwortlich zeichnet, mit seiner Kostümbildnerin Maike Storf, die funktionell und mit Glanzpunkten beim ,Chor' der Lagerarbeiter und ihren verschiedenen Rollen ausstafiert, sowie bei Lady Milford und äußerst komisch bei der Millerin. Schwer vorstellbar allerdings, dass die Lichtkönner des Schauspielhauses diesmal nur ,eingerichtet' haben und für die ein wenig starke Musikbeschallung wüsste man auch gerne, wer verantwortlich zeichnet, ein sehr einprägsamer Einführungstext (von Dramaturgin Nina Rühmeier?) im Programmheft rundet die Leistung des gesamten Kreativteams ab.

Ich habe in dieser Spielzeit noch nicht erlebt, dass man dem Publikum sanft mit Einschalten des Saallichts bedeuten muss, nun lasst mal die Schauspieler und Schauspielschüler den Premierenstress hinter sich lassen, denn sonst wäre der Beifall noch eine Weile weiter gegangen.
Ich habe mich jedenfalls keine Minute gelangweilt.

Übers Konzept lässt sich sicher trefflich streiten, was wohl auch im Sinne des Regisseurs wäre. Einer Sache bin ich mir aber ganz sicher: Junge Theaterzuschauer, die als Pflichtübung neben der Abiturpflichtlektüre ins Theater gehen ,müssen' werden im Gegensatz zu manchen ihrer Lehrer jubeln und endlich verstehen, worum es denn eigentlich in diesem ,Schiller' geht. Die leicht hedonistische Sichtweise liegt ganz sicher voll im Trend und das Stück ist wirklich hochaktuell.

http://namkoartist.wordpress.com

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