Quantcast
Channel: Germany
Viewing all articles
Browse latest Browse all 18967

Haltung statt Technik - Warum Pick-up Artists scheitern

$
0
0
Pick-up Artists stehen in der Kritik: ihnen werden fiese bis gewalttätige Methoden vorgeworfen, mit denen sie Frauen flach legen. Ihre Seminare sollen jetzt verboten werden.

Ein Plädoyer gegen angelernte Flirttechniken.

Ein guter Flirter trainiert nicht einer allgemeingültige Standardlösung. Denn es gibt nicht den einen Flirttypen, sondern mehrere verschiedene. Insofern gibt es nicht die eine richtige Flirtstrategie. Vielmehr sollte jeder auf Grundlage seiner Ressourcen seine persönliche Flirtsprache entwickeln, die zu ihm passt. Nur mit dieser wirkt er echt und glaubwürdig.

Nehmen wir als Beispiel den Filmklassiker "Und täglich grüßt das Murmeltier". Hier gerät ein zynischer, egozentrischer Mann in eine Zeitschleife und erlebt ein und denselben Tag immer wieder aufs Neue. Er hat ein Auge auf eine attraktive Kollegin geworfen, die er verführen will, indem er jeden Tag mehr über sie herausfindet und sein Vorgehen somit präziser auf sie abstimmen kann. Doch so sehr er sich auch bemüht und die vermeintlich beste Taktik wählt, an irgendeinem Punkt endet das Ganze stets mit einer schallenden Ohrfeige. Irgendwas scheint nicht zu funktionieren.

Dieses besondere Etwas bezieht sich unserer Meinung nach auf einen außerordentlich wichtigen Punkt, der sich am besten mit den Worten „Haltung statt Technik" beschreiben lässt. Unter Technik verstehen wir die Fülle an vorgefertigten Aufreiß- und Flirtsprüchen sowie das Einstudieren eines starren Vorgehens nach einem festgelegten Plan, in dem genau beschrieben wird, welche Gestik auf welchen Satz, welche Wendung auf welche Reaktion des Objektes zu folgen hat, wie es Pick-up-Artists ihren Klienten vermitteln. Doch damit werden Sie unserer Meinung nach nicht weit kommen.

Technik ist kompliziert und mühsam zu erlernen.
Im besagten Film erreicht das Vorgehen des Eroberers ein derart unglaubliches Maß an Verfeinerung, dass seine Kollegin einmal begeistert sagt: „Ein perfekter Abend - niemand hätte ihn so planen können." Daraufhin entgegnet er: „Man kann schon, es ist nur ein Riesenhaufen Arbeit." In seinem Falle geht es um die Verführung einer einzelnen Frau und nicht um ein Standardrezept, dem alle Frauen erliegen sollen. Trotzdem wird deutlich, wie kompliziert und störanfällig so ein ausgefeiltes System ist und welche immense Gedächtnisleistung es abverlangt, wenn Schritt für Schritt genau nach Plan vorgegangen werden muss.

Technik greift zu kurz.
An unserem Beispiel wird deutlich, dass bei jedem Fehler im Vorgehen der mühsam aufgestellte Plan zur Verführung zusammenbrechen kann. Jede Flirttechnik kann noch so gut einstudiert sein, sie hangelt sich letztlich doch nur von Stufe zu Stufe. Ist der erste Schritt beim Flirten gemeistert und das Eis gebrochen, braucht es den nächsten Schritt, um verbindlicher zu werden.
Was nützt es also, den vermeintlich besten Flirtspruch der Welt auf Lager zu haben, wenn man danach nicht weiß, wie ein lebendiges Gespräch zu führen ist oder die geeignete Atmosphäre hergestellt werden kann, um die Umworbene in den Bann zu ziehen?
Mit einem einzig auf Technik aufgebauten Flirtverhalten verschiebt sich quasi der Moment des Scheiterns nur an den Punkt, an dem die einstudierte Technik mit ihrem Konzept am Ende ist. Ob sich dafür der Aufwand des Lernens lohnt, muss jeder selbst für sich entscheiden.

Technik ist langsam.
Damit wir uns nicht falsch verstehen - es ist förderlich, viel über die komplexen, vornehmlich unbewussten Prozesse zu wissen, die beim Kennenlernen oder in Beziehungen ablaufen. Unser Bewusstsein hat aber eine deutlich begrenztere Kapazität als unser Unterbewusstsein, welches viele Prozesse in Windeseile und parallel erledigen kann. Deshalb kommt eine detaillierte Anleitung zum perfekten Date dem Versuch gleich, einem Rennpferd in gestrecktem Galopp die Hufe zu beschlagen. Kennen Sie die Geschichte vom Tausendfüßler, der während des Gehens anfing, über die Koordination seiner Beine nachzudenken, und dann auf die Nase fiel? Für dieses Problem gibt es durchaus eine Lösung, nur eben keine rein technische.

Technik ist unpersönlich.
Je mehr wir einer versteckten Gebrauchsanleitung folgen, desto schneller fühlt sich unser Gegenüber- wie ein Videorecorder - bedient und als Person übergangen. Wir können dies aus der Praxis unserer Flirtseminare bestätigen. In fast allen Übungen, in denen sich ein Mann, der viel zum Thema "Wie reiße ich mit besonders effizienten Techniken eine Frau auf" gelesen hat, im Flirten ausprobiert, melden die weiblichen Kursteilnehmer zurück, dass ihnen dabei unbehaglich wird. Der Grund dafür ist, dass hinter den ganzen ausgefallenen Tricks und Sprüchen keine interessierte und wertschätzende Haltung zu spüren ist. Dem ganzen Bemühen fehlt es an Wärme! Umgekehrt berichten viele Männer, dass sie auf den Flirtexkursionen am Samstagabend in der freien Wildbahn zahlreiche bis zur Perfektion gestylte Frauen sehen, die eine Aura der Unantastbarkeit verbreiten und deshalb nicht angesprochen werden. Auch hier verhindert die Fassade eine ernst gemeinte Kontaktaufnahme.

Technik macht abhängig.
Wer durch Techniken beim Flirten vorankommt, der schreibt seinen Erfolg meistens der Technik zu und selten der Tatsache, dass er selbst liebenswert ist und sich bislang nur nicht getraut hat, aktiv zu werden. Gerade wer Techniken als Schutz vor der eigenen Unsicherheit benutzt, wird schnell davon abhängig, weil er glaubt, es gehe nicht mehr ohne - und das wäre doch schade.

Technik lähmt die Spielfreude.
Jemand, der zielgerichtet und technisch flirtet, läuft Gefahr, zu übersehen, dass das berühmte zwischenmenschliche Prickeln vor allem mit Spontaneität und Spielfreude zusammenhängt. Der technisch versierte Flirter fühlt sich mit seinem Rüstzeug sicher und hat kein Empfinden für die vielen feinen Nuancen, die das Gegenüber mit Gestik, Mimik und Körpersprache signalisiert. Schnell kann die Offensive dann an der eigentlichen Stimmung vorbeigehen. Um es mit John Lennon auf den Punkt zu bringen: „Leben ist das, was passiert, während du dasitzt und andere Pläne machst."

Technik taugt nicht für Beziehungen.
Das Problematischste an einstudierten Flirttechniken ist unserer Meinung nach die Tatsache, dass darin versierte Flirter nur selten glückliche Beziehungen führen. Wer einen Partner nach einem antrainierten Plan verführt hat, der muss in einer späteren Phase der Beziehung entweder die Maske aufbehalten (wie es die entsprechende Literatur für Männer und Frauen tatsächlich empfiehlt) oder riskieren, dass sich der Partner geblendet und betrogen fühlt, sobald er das wahre Gesicht zu sehen bekommt. Nicht selten folgt dann die Trennung. Was bleibt, ist die Unzufriedenheit des Enttarnten, weil dieser sich weder angenommen noch geliebt fühlt, so wie er ist. Wenig verwunderlich, schließlich aht er sich nie wirklich gezeigt.

Haltung ist das Wichtigste.
Am Ende gewinnt der Held doch noch das Herz seiner Kollegin. Aber vorher muss er loslassen - in technischem Sinne gesprochen resignieren. Er lernt um, fängt an Dinge zu tun, an denen er selbst Freude hat, und seine zynische Grundhaltung verändert sich nach und nach ins Positive. Schließlich orientiert er sich an der Devise „nutze den Tag" und wird der begehrteste und beliebteste Mann der Gegend. Die Veränderung zu einer positiven, wertschätzenden Haltung hin führt automatisch zu einer anziehenden Ausstrahlung.

Haltung kommuniziert sich unbewusst.
Die Grundhaltung eines Menschen drückt sich auf mehreren Ebenen aus. Neben der Sprache und den Inhalten wird eine Haltung vor allem auch durch die Körpersprache und unbewusste Nuancen transportiert. Deshalb kann eine erlernte Technik auch niemals eine offene und wertschätzende Haltung ersetzen. Sie kann sie zwar imitieren, wird aber den Geruch der Unehrlichkeit nicht los.

Haltung trägt immer.
Im Gegensatz zur Strategie mittels Technik muss jemand, der tatsächlich neugierig und interessiert an einem anderen Menschen ist und zu sich selbst steht, nicht über den nächsten Schritt beim Flirten nachdenken. Wenn sich ein Problem einstellt, wird ihn das nicht unter Druck setzen. Wer vertrauenswürdig ist, weil er andere Menschen wertschätzt, läuft weder zu Anfang, noch in einem späteren Stadium der Beziehung Gefahr, entlarvt zu werden.

Haltung führt zu uns selbst.
Im wahrsten Sinne des Wortes verkörpert jeder Mensch eine Haltung. Da der Körper immer im Augenblick ist, bringt uns eine gute Grundhaltung nicht nur ins Hier und Jetzt, sondern auch zu uns selbst. Wir werden authentischer, wenn wir uns mit wohlfühlen und jemand, der uns so kennen- und vielleicht lieben lernt, meint dann wirklich uns. Das ist sicherlich eine hervorragende Voraussetzung für eine langfristige Beziehung.

Wie nun weiter?
Tipps und Techniken sind immer dann sinnvoll, wenn sie als Anregungen verstanden werden oder als Notlösungen im Hinterkopf dabei helfen, überhaupt aktiv zu werden. Sie können zwar das Eis brechen, aber ohne die richtige Haltung nicht losgelöst funktionieren. Eine offene, spielfreudige Haltung und die Wertschätzung des Gegenübers kommunizieren sich auf allen unbewussten Kanälen. Deshalb kann jemand, der sich unsicher fühlt, das auch nicht mit Techniken übertünchen. Wer dagegen gelernt hat, dass Unsicherheit im Kontakt völlig in Ordnung ist und vom Partner sogar häufig als Kompliment empfunden wird, der hat einen gewaltigen Schritt in Richtung einer authentischen Begegnung getan.


Der Beitrag "Haltung statt Technik - Warum PickUP Artists scheitern" ist ein Auszug aus „Die Dating Docs" (Goldmann Mosaik oder als eBook) von Eric Hegmann und Lisa Fischbach

Viewing all articles
Browse latest Browse all 18967

Trending Articles



<script src="https://jsc.adskeeper.com/r/s/rssing.com.1596347.js" async> </script>