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Staatsschulden abbauen oder nicht? Der Zank um die schwarze Null

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Da waren am Stand der SPD-Postille „Vorwärts" auf der letzten Buchmesse in Frankfurt die Richtigen zusammen: der stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD Ralf Stegner (Jahrgang 1959) und der als „Autor und Wirtschaftshistoriker" angekündigte Florian Schui (Jahrgang 1973). Ihr gemeinsames Thema: Warum Sparen als staatliche Politik nicht taugt.

Der flotte Florian legte gleich richtig los: „Austerität ist ein altes Motiv, hat gesellschaftlich gesehen aber noch nie funktioniert." Poff, das hatte gesessen und war sozusagen die Kurzform seines neuen Buches „Austerität. Politik der Sparsamkeit: Die kurze Geschichte eines großen Fehlers".

(Florian Schui, Austerität. Politik der Sparsamkeit: Die kurze Geschichte eines großen Fehlers, Blessing-Verlag, 19,99 Euro, ISBN: 978-3-89667-533-0)

Und Politprofi Stegner war als Staatsknete-Ausstreuer natürlich sofort Feuer und Flamme: „Es herrschen irrige Vorstellungen übers Sparen." Ach, welche denn? Stegner: „Sparen heißt: Ich lege Geld zurück, um in der Zukunft davon etwas kaufen zu können. Wenn ein Staat spart, ist aber eigentlich kürzen gemeint."

Da hat er recht. Wenn in Deutschland ein Politiker, vor allem ein SPD-Mann, vom „Sparen" redet, dann heißt das im Klartext einfach: weniger neue Schulden machen.

Nach solchen Feinsinnigkeiten ging es in der Diskussion aber gleich ein Stückchen weiter: Es gebe einen klaren Unterschied bei der Zweckmäßigkeit vom Sparen im Privaten und vom Sparen in gesellschaftlichen Zusammenhängen, so Stegner: „Sparen ist positiv besetzt, aber es taugt nicht als Maßstab für politisches Handeln."

Aha - auf Pump Wohltaten verteilen ist also alternativlos. Warum das denn?

Staatliches Sparen hat demnach verhängnisvolle Auswirkungen, die es beim privaten Sparen nicht gibt, wie Schui erläuterte: „Weil die Ausgaben des Staates und seine Investitionen so mannigfaltig sind, ein so großes Volumen haben, hat es eben auch gewaltige Auswirkungen, wenn weniger in Straßenbau, Bildung oder andere Bereiche investiert wird. Firmen und Menschen fehlen Einnahmen, das Volkseinkommen sinkt - und damit die Steuereinnahmen. Ein Teufelskreis."

Der Mann von der Universität St. Gallen kurz zusammenfassend: „Sparen schafft kein Wachstum, das ist das Problem." Und noch eins drauf: „Wir haben heute mehr Schulden als vor der Sparpolitik." Sein Fazit: „Sparen funktioniert ökonomisch gar nicht, die Frage ist: Warum machen wir´s trotzdem?"

Staatliches Sparen hat sehr wohl seine Berechtigung

Das ist so viel Blödsinn auf einmal, dass ich mir die Anschaffung des Buches sparen werde, obwohl meine Hand sonst beim Geldausgeben in der Buchhandlung mehr als locker sitzt.

Der Knabe hat bei seinem Schwadronieren über die segensreichen Ausgaben, die Wachstum, Wohlstand und Einnahmen der „Firmen und Menschen" schaffen, schlicht vergessen, dass man ohne diese bisherige Verschuldung den Steuerzahlern auch weniger Geld aus der Tasche ziehen müsste.

Die hätten die Knete dann selbst zur Hand. Jeder zehnte Euro, den Wolfgang Schäuble ausgibt, geht für die Zinsen der Altschulden drauf, und das bei den niedrigsten Zinsen aller Zeiten.

Hätten Schlauberger wie Schui und Stegner nicht über Jahrzehnte hinweg ihre angeblich unausweichlichen Ausgabenforderungen gestellt, könnte der Finanzminister heute jährlich auf 29 Milliarden Euro an Einnahmen verzichten und trotzdem ebenfalls einen ausgeglichenen Haushalt ansteuern.

Die Zinszahlungen sind übrigens höher als alle nach der offiziellen Definition ausgewiesenen Investitionen des Bundes (siehe Tabelle).

2014-10-17-tabelle.jpg

(Quelle: Bundeshaushalt 2014, Finanzministerium)

2014-10-17-tabelle2.jpg

(Quelle: Finanzministerium)

Das scheint am „Vorwärts"-Stand gar keine Diskussion gewesen zu sein, sondern ein gegenseitiges Zustimmen und allenfalls Ergänzen, denn für Stegner ist die europäische Schuldenbremse die „Kapitulation vor der öffentlichen Meinung".

Schulden machen hält Stegner nicht für grundsätzlich verkehrt. Die Schwierigkeit sei vielmehr, „gute" von „schlechten" Schulden zu unterscheiden: „Wenn ich etwas für Bildung tue, dann ist das nicht nur gerecht, sondern auch ökonomisch vernünftig, weil ich spätere Transferleistungen vermeide."

(Quelle: Yvonne Holl, Stegner: Es gibt gute und schlechte Schulden, „vorwärts" 11. Oktober 2014)

An der alten Leier von den guten und schlechten Schulden ist grundsätzlich schon was dran: Würde der Staat tatsächlich eine Summe aufnehmen, die Infrastruktur damit auf einen tollen Stand bringen, mit der wir dann prima Wirtschaftswachstum hinkriegen, dann könnte man solche Investitionen wie jedes Unternehmen als eine sinnvolle Sache ansehen.

Aber in der Praxis geht nur ein Achtel der Ausgaben in Infrastruktur und Bildung. Fast die Hälfte dient dem sozialen Bereich (siehe Schaubild oben).

Aber das nur nebenbei. Da ich mir das Buch ja sozusagen aus Protest verkneife, muss ich zum Inhalt auf Zitate aus einer Buchkritik des Radiosenders SWR 2 zurückgreifen, in der Schui-Thesen wörtlich zitiert sind:

„Staatsschulden werden eigentlich nie zurückbezahlt. Wenn Sie sich beispielsweise den großen Schuldenberg der USA im Zweiten Weltkrieg ansehen: Diese Schulden sind in der Nachkriegszeit nicht zurückbezahlt worden. Entscheidend ist vielmehr ihr Umfang im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung. Und was in den USA, aber auch in anderen Fällen passierte, ist, dass die Wirtschaft wächst und der Schuldenberg im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung immer unbedeutender wird."

(Quelle: Jürgen Heilig, Florian Schuis neues Buch „Austerität": Die kurze Geschichte eines großen Fehlers, SWR2, Kulturthema am 6.10.2014)

Nun schwillt mir immer der Kamm, wenn jemand Behauptungen aufstellt, gewaltige Konsequenzen daraus zieht und die argumentativen Grundlagen nicht genügend abgeklopft hat. Nehmen wir doch mal Schuis Beispiel des heutigen Schuldenweltmeisters USA.

„Staatsschulden werden eigentlich nie zurückgezahlt", behauptet der Historiker einfach mal so. Bis zum Zweiten Weltkrieg hat er dabei zurückgeschaut. Selbst damals jedoch haben die Amis noch zaghaft versucht, den kriegsbedingten Schuldenberg zu reduzieren: Von 1946 bis 1949 bauten sie ihn immerhin um sechs Prozent ab, dann kam allerdings der Korea-Krieg dazwischen. Richtig ist: Diese Schulden sind per Saldo nie zurückgezahlt worden.

Aber schaut man in die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg zurück, dann wurden seit Gründung der USA mindestens fünf nachhaltige Versuche unternommen, vom in Kriegen unabweisbaren Schuldenaufbau später wieder herunterzukommen.

Es liegt auf der Hand, dass man nicht in die Schlacht ziehen kann und die Ausrüstung und Verpflegung der Truppen am zwanghaften Ausgleich des Staatshaushalts scheitern lässt. Aber es war offenkundig anschließend der klare politische Wille da, diese außerordentlichen Belastungen durch Sparsamkeit so weit es ging wieder zu kompensieren.

Und einmal ist das sogar fast komplett gelungen: Mitte 1837 sank die Bundesschuld auf 33.733 Dollar und fünf Cent ab, nachdem sie 1816 auf einen Rekord von 127,3 Millionen Dollar gestiegen war. Das bedeutete einen Abbau um 99,97 Prozent.

Die Schulden waren im Zweiten Unabhängigkeitskrieg zwischen den USA und England von Mitte 1812 bis Ende 1814 aufgelaufen, der 1815 noch mit gebremstem Schaum fortgesetzt wurde.

Und jetzt frage ich Sie mal: Ist den USA diese im Kern solide Haushaltspolitik eigentlich schlecht bekommen? Antwort: nö. Sie stiegen gut eineinhalb Jahrhunderte zur Weltmacht Nummer eins auf und verhalfen ihren Bürgern zu einem in der Geschichte beispiellosen Wohlstand. Und nun, Herr Schui, kommen Sie!

Um seinen gleichgesinnten Gesprächspartner Stegner wabert, um das Wort „tobt" angesichts dieser Mickey-Mouse-Debatte zu vermeiden, ein bizarres Wortgeklingel: die Null-Diskussion. Eine „schwarze Null" im Bundeshaushalt sei keine „sozialdemokratische Null" hatte der SPD-Linke konstatiert und angesichts der zurückgenommenen Konjunkturprognosen gefordert: „Ich plädiere für höhere Investitionen in Bildung und Infrastruktur."

Der Haushaltsaugleich im kommenden Jahr aber ist ein Lieblingsprojekt von Finanzminister Wolfgang Schäuble. Der will angesichts von ein paar Promille weniger Wirtschaftswachstum seine Planungen nicht über den Haufen werfen lassen.

Nur das linke SPD-Vorstandsmitglied Carsten Sieling sprang von den Großkopferten Stegner öffentlich bei: „Die schwarze Null darf kein Selbstzweck sein, das wird in weiten Teilen der SPD so gesehen."

Trotz allen Koalitionsfriedens konnte CDU-Generalsekretär Peter Tauber die Null-Aussagen natürlich nicht einfach unkommentiert lassen: „Die rote Null ist Herr Stegner." Der ausgeglichene Haushalt sei im Koalitionsvertrag von Union und SPD verabredet. „Die Neuverschuldung null hat in dem Sinne keine Farbe", unterstrich Tauber.

In der Sitzung des SPD-Parteivorstands soll es zu einem hitzigen Wortgefecht zwischen Parteichef Sigmar Gabriel und seinem Stellvertreter Stegner gekommen sein. Der dickliche Vizekanzler hatte nämlich gerade erst dazu aufgefordert, keine Debatte zu diesem Thema zu führen.

Aus Teilnehmerkreisen will die „Frankfurter Rundschau" erfahren haben, dass Gabriel Stegner „sehr hart" anging, „der sich zur Wehr setzte und auch Unterstützung erfuhr".

(Quelle: Karl Doemens, Roter Streit um Schwarze Null, Frankfurter Rundschau 13.10.2014.
Ärger in der großen Koalition. SPD-Vize Stegner will Investitionen statt schwarze Null, FOCUS 14.10.2014)


Na ja, da können die Sozis zanken und sich ereifern, das liegt ihnen ja ohnehin.

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