
© Copyright 2014 Ernst-Günther Tietze
Aus Kapitel 18 „Erfolg"
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Drei Wochen zu früh setzten bei Anke die Wehen ein. Als das kleine Köpfchen sichtbar wurde, traute François seinen Augen nicht. Blauschwarze Haare zeigten ihm ganz klar: Das war sein Kind! Eine Welle der Dankbarkeit durchflutete ihn, aber dann dachte er an Anke. Wie enttäuscht würde sie sein, kein Mädchen geboren zu haben. Seine Sorge war unbegründet. Fünf Minuten später lag ihre gemeinsame Tochter in Ankes Armen. Beide konnten ihr Glück überhaupt nicht fassen. Sie hatten ein Kind miteinander und es war ein Mädchen! Anke rief Sven an, doch weder er noch Birgit waren erreichbar, denn auch die Münchener befanden sich in der Entbindungsklinik. Sven sah als erstes ein goldblondes Köpfchen und hörte einen Moment später einen überraschten Ruf der Hebamme. „Ist etwas nicht in Ordnung?", fragte er besorgt. Doch die weise Frau beruhigte ihn, es sei sogar alles in bester Ordnung. Erst als sie das Baby abgenabelt hatte und es zeigte, erkannte er das Wunder. Feierlich sagte die Hebamme: „Ich gratuliere Ihnen beiden ganz herzlich. Sie haben ein Mädchen bekommen."
Natürlich interessierte es Anke brennend, das Geheimnis ihrer Tochter zu ergründen. Sie dachte noch einmal nach, wo sie sich am Tag des auslösenden Ereignisses aufgehalten hatte. Am 1. April, ihrem 32. Geburtstag und dem Tag des Ereignisses war sie nach Berlin zurück geflogen. In einer künstlichen Atmosphäre, genau wie der zweite der normal fertil gebliebenen Fliegenstämme, hatte sie gar keine Möglichkeit gehabt, die zwar weltweit, aber offenbar nur kurzzeitig aufgetretene Einwirkung in sich aufzunehmen. Mit einem Mal war sie für die weiteren Lösungsversuche des „Problems" interessant geworden. Die Forscher suchten ja immer noch nachweislich ungeschädigte Frauen. Sie würde also ihre nächsten nach der Entbindung normal gereifte Eizellen für zwei Dinge zur Verfügung stellen.
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Die Versuche brachten genau die von ihr prognostizierten Ergebnisse. Durch den Vergleich mit Ankes ungeschädigten Eizellen war es jetzt möglich, die halogenierten Kohlenwasserstoffe in den Rezeptoren der anderen Frauen zu isolieren und genau zu analysieren: Wie die Proben des UN-Inspektors enthielten sie geringe Mengen Arsen. Die katastrophalen Auswirkungen, die sich auf der ganzen Erde als Sperre der Eizellen gegen feminogene Spermien niedergeschlagen hatten, mussten von dieser Arsenbeigabe herrühren. Nach vier Wochen intensiver Arbeit hatten Anke und Tom mit weiteren Mitarbeitern der INGENETIC eine Substanz gefunden, die den Makrophagen ihre ursprüngliche Fähigkeit wiedergab, nach der Aufnahme eines Fremdkörpers abzusterben und das Blut mit dem Stoffwechsel zu verlassen, so dass die Eizellen mit funktionsfähigen Rezeptoren reifen konnten.
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Einen Monat nach der Geburt der ersten zehn Mädchen aus der Versuchsserie berief die INGENETIC zum 1. 4. 1995 eine internationale Pressekonferenz ein. Nach einer Begrüßung durch die Geschäftsführung nahm Jennifer das Wort und fasste die Forschungsaktivitäten Institut zusammen. Sie schloss mit den Worten: „Meine Damen und Herren, wir können Ihnen heute die freudige Mitteilung machen, dass zwei hervorragende Forscher an meinem Institut das ,Problem' der ausbleibenden Mädchengeburten drei Jahre nach seinem Entstehen gelöst haben."
Dann erhielt Anke das Wort. Sie berichtete über ihre Arbeiten und Überlegungen, die vor zwei Jahren zum Vorschlag der Geschwisterzeugung geführt hatten. Dann erzählte sie von der Analyse des Störfaktors und wies der auf die zehn Mütter hin, die ihre Babys hochhielten: „Hier sehen Sie zehn lebende Beweise dafür, dass wir mit großer Wahrscheinlichkeit eines der gravierendsten Probleme der Menschheit gelöst haben. Mögen aus diesen zehn glücklichen Müttern in den nächsten Jahren Hunderte von Millionen auf der ganzen Erde werden." Tosender Beifall erfüllte den Saal.
Nach einer Reihe von Fragen erhob sich François: „Frau Professor Yuconda, es gibt Gerüchte, dass Sie in den letzten Jahren mehrfach Ihren eigenen Körper für Experimente zur Erforschung des ,Problems' zur Verfügung gestellt haben. Entsprechen diese Gerüchte den Tatsachen?", sagte er schmunzelnd. Mit fester Stimme antwortete Anke sie: „Sie entsprechen den Tatsachen, Herr Chefredakteur Yuconda." „Ist Ihr persönlicher Einsatz für die Menschheit bisher in irgendeiner Weise anerkannt worden?", fragte François weiter.
„Nein und ja, Herr Chefredakteur Yuconda", gab Anke zurück. „Von öffentlicher Seite habe ich bisher dafür keine Anerkennung erhalten. Dafür habe ich bei meinem Mann immer wieder die größte Anerkennung gefunden, die sich eine Frau nur wünschen kann. Ohne seinen Großmut bei meinem körperlichen Einsatz und seine stetige Anerkennung hätte ich diese Arbeit mit Sicherheit nicht so erfolgreich durchführen können."
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Ein Jahr später brachte Anke einen Jungen zur Welt, der rotblonde Haare hatte und ihrem Bruder wie aus dem Gesicht geschnitten war. Doch sie wusste genau, dass François sein Vater war. Trotzdem nannten sie ihn Sven. Die Zahl der Mädchengeburten verbesserte sich stetig, in Europa, Amerika und Nordasien auf 1 : 2, in Afrika und Indien auf 1 : 5.
Kurz darauf erhielt Anke die Nachricht, dass der diesjährige Nobelpreis für Medizin an sie und Tom Peters vergeben worden sei. Zur Preisverleihung in Stockholm war auch Heinz eingeladen worden. „Ich glaube, deine Entscheidung, in Kanada zu bleiben, war richtig. Mit dem Preis kannst du auch in zehn Jahren noch überall etwas werden", sagte er stolz zu Anke. „Dasselbe hat François gesagt, als ich die Nachricht erhielt", lachte Anke den väterlichen Freund an. Der verriet nicht, dass er sie für den Preis vorgeschlagen hatte. Ihm war ja erst vor kurzem klar geworden, dass er sie in der ganzen Zeit nicht nur als Studentin und Kollegin geachtet, sondern auch als Frau verehrt hatte, eine ganz einzigartige Frau zwar, aber eben genau so wie ein Mann eine Frau verehrt. Doch das würde nie jemand erfahren.
Der Roman „Die unendliche Kostbarkeit der Frauen" beschreibt auf 200 Seiten die dramatischen Auswirkungen einer Fiktion, in der weltweit keine Mädchen geboren werden. Er wird gedruckt bei epubli und kann im Internet und in jeder Buchhandlung bestellt werden:
Als Taschenbuch für 14,95 Euro mit ISBN-Nr. 978-3-8442-8213-9
Als e-Book für 5,49 Euro mit ISBN-Nr. 978-3-7375-0491-1
Das vorliegende letzte Kapitel 18 umfasst im Buch 13 Seiten. Ausschnitte aus den früheren Kapiteln sind an dieser Stelle vorgestellt worden.