Die geringe Wahlbeteiligung bei den Landtagswahlen in Ostdeutschland hat eine kontroverse Debatte über Nichtwähler ausgelöst.
Knapp 53 Prozent in Thüringen, 49 Prozent in Sachsen, gar nur 48 Prozent in Brandenburg: Für Regionen, denen soziale, wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme nachgesagt werden, sind das erschreckende Zahlen.
Genau deshalb sind Experten alarmiert. Der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner, sieht in der hohen Zahl an Nichtwählern eine Gefahr für die Demokratie. „Bei dauerhaften Wahlverweigerern nimmt die Akzeptanz des demokratischen Systems ab", sagte Güllner jüngst im Stern.
Nichtwähler, so deutet er es, hätten das Gefühl, „dass sich die Politik nicht mehr um sie kümmert".
Offenbar sind es immer mehr Menschen, die so denken. Inzwischen gibt nur noch die Hälfte aller Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Der Politikverdruss in der Gesellschaft droht Überhand zu nehmen.
Es besteht die Gefahr, dass sich Menschen nicht mehr für Themen interessieren, die sie selbst betreffen. Dass sie nicht mehr mitreden wollen. Dass sie die Lust auf Demokratie verlieren. Eine Entwicklung, die dringend Gegenmaßnahmen erfordert.
Welche das sein sollen, darüber wird zurzeit eifrig gestritten. Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, unterstellt den Bundesbürgern eine „moralische Pflicht" zur Wahl zu gehen.
Wer seine Stimme verweigert, handelt laut Papier wie ein Steuersünder: auf Kosten der Gesellschaft.
Deutliche Kritik am Nichtwähler also. Publizist und Autor Hugo-Müller-Vogg nimmt eine andere Position ein. Wer Nichtwähler verurteile, schreibt er in einem aktuellen Beitrag für den "Cicero", „missachtet sträflich ein Grundprinzip einer freiheitlichen Gesellschaft: Das Recht, unpolitisch zu sein, das Recht, das Wählen den anderen zu überlassen."
Richtig ist: Kein Mensch darf dazu gezwungen werden, einer Partei seine Stimme zu geben. Es ist vielmehr Sache der Politik, Bürger an die Wahlurne zu locken. Aus dieser Aufgabe ergibt sich eine moralische Pflicht, wie sie Papier einfordert - allerdings nicht für Bürger, sondern für die Parteien. Die werden dieser Verantwortung immer weniger gerecht.
Die Wahlbeteiligung sinkt rapide, und parallel dazu feiern rechte und rechtspopulistische Gruppierungen einen triumphalen Aufstieg. Das hat nicht nur die Wahl in Sachsen gezeigt, bei der AfD und NPD zweistellige Prozentpunkte erreichten.
Parteien müssen deshalb schleunigst Menschen Gehör schenken, die diesen Zusammenhang nicht verinnerlicht haben. Lernen, was sie davon abhält, wählen zu gehen. Verstehen, warum ihnen Politik und Demokratie egal sind.
Das ist keine Frage von inhaltlichen Angeboten. Das ist eine Frage, auf welche Zielgruppen sich Parteien ausrichten. Dass Nichtwähler ihre wichtigste sind, verkennen die meisten.
In seinem Beitrag definiert Autor Müller-Vogg drei Arten von Nichtwählern: Die erste traue der Politik grundsätzlich nichts zu, schreibt er. Die zweite könne keine inhaltlichen Unterschiede zwischen den Parteien ausmachen. Und die dritte vertraue auf Gott und die Welt. „Es ist noch immer gut gegangen" - egal ob ich zur Wahl gehe oder nicht.
Unerwähnt lässt Müller-Vogg eine vierte Gruppe, die zunehmend wächst. Sie vereint Menschen, die sich von der Politik auf falsche Weise oder gar nicht angesprochen fühlen.
Ein Blick in unseren Alltag verdeutlicht das Problem: Für viele Deutsche hat Digitalität inzwischen eine zentrale Bedeutung. Sie surfen auf Smartphones. Sie twittern. Sie sind bei Facebook aktiv. Kurzum: Sie leben digital.
Dieser Zustand hat erheblichen Einfluss darauf, für welche Themen sich die Menschen hierzulande interessieren. Welche Meinungen sie vertreten. Worüber sie sich äußern. Und vor allem: wo sie sich äußern.
Ein Großteil der gesellschaftlichen Debatten läuft mittlerweile über Soziale Netzwerke ab. Dort ist es die Bevölkerung, die den Ton angibt, nicht Politiker. Das ist ihr Beitrag zur Demokratie. Er ist deshalb so besonders, weil er nicht einmal in fünf Jahren stattfindet, wenn Landtagswahlen in einem Bundesland abgehalten werden, sondern tagtäglich. Auf Kanälen, die existenzieller Bestandteil im Leben vieler Bürger sind.
Politiker mögen vieles von sich behaupten können - dass sie im digitalen Zeitalter angekommen sind, sicherlich nicht. Die Präsenz von Parteien und ihren Akteuren in Sozialen Netzwerken ist erschreckend. Ein Austausch mit Wählern findet allenfalls oberflächlich statt. Auf ihren privaten Accounts treten (Spitzen-)Politiker so gut wie nie mit Bürgern in Kontakt.
Die digitale Sturheit, die digitale Ignoranz der Parteien: auch sie treibt Menschen in den Politikverdruss. Und hält sie davon ab, wählen zu gehen.
Aus diesem Grund müssen Parteien einen radikalen Wandel vollziehen. Gespräche zwischen Politikern und Bürgern, inhaltliche Debatten, Wahlkämpfe - all das muss künftig schwerpunktmäßig digital ablaufen. In Sozialen Netzwerken. Dort, wo sich Menschen tummeln. Dort, wo die Gesellschaft ist. Dort, wo Demokratie stattfindet. Sonst gehen bald noch weniger Bürger zur Wahl.
„An einer niedrigen Wahlbeteiligung", schreibt Hugo-Müller Vogg in seinem Beitrag „ist noch keine Demokratie zerbrochen".
Nun, Zeiten können sich ändern.
Knapp 53 Prozent in Thüringen, 49 Prozent in Sachsen, gar nur 48 Prozent in Brandenburg: Für Regionen, denen soziale, wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme nachgesagt werden, sind das erschreckende Zahlen.
Genau deshalb sind Experten alarmiert. Der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner, sieht in der hohen Zahl an Nichtwählern eine Gefahr für die Demokratie. „Bei dauerhaften Wahlverweigerern nimmt die Akzeptanz des demokratischen Systems ab", sagte Güllner jüngst im Stern.
Nichtwähler, so deutet er es, hätten das Gefühl, „dass sich die Politik nicht mehr um sie kümmert".
Offenbar sind es immer mehr Menschen, die so denken. Inzwischen gibt nur noch die Hälfte aller Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Der Politikverdruss in der Gesellschaft droht Überhand zu nehmen.
Es besteht die Gefahr, dass sich Menschen nicht mehr für Themen interessieren, die sie selbst betreffen. Dass sie nicht mehr mitreden wollen. Dass sie die Lust auf Demokratie verlieren. Eine Entwicklung, die dringend Gegenmaßnahmen erfordert.
Welche das sein sollen, darüber wird zurzeit eifrig gestritten. Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, unterstellt den Bundesbürgern eine „moralische Pflicht" zur Wahl zu gehen.
Wer seine Stimme verweigert, handelt laut Papier wie ein Steuersünder: auf Kosten der Gesellschaft.
Deutliche Kritik am Nichtwähler also. Publizist und Autor Hugo-Müller-Vogg nimmt eine andere Position ein. Wer Nichtwähler verurteile, schreibt er in einem aktuellen Beitrag für den "Cicero", „missachtet sträflich ein Grundprinzip einer freiheitlichen Gesellschaft: Das Recht, unpolitisch zu sein, das Recht, das Wählen den anderen zu überlassen."
Richtig ist: Kein Mensch darf dazu gezwungen werden, einer Partei seine Stimme zu geben. Es ist vielmehr Sache der Politik, Bürger an die Wahlurne zu locken. Aus dieser Aufgabe ergibt sich eine moralische Pflicht, wie sie Papier einfordert - allerdings nicht für Bürger, sondern für die Parteien. Die werden dieser Verantwortung immer weniger gerecht.
Die Wahlbeteiligung sinkt rapide, und parallel dazu feiern rechte und rechtspopulistische Gruppierungen einen triumphalen Aufstieg. Das hat nicht nur die Wahl in Sachsen gezeigt, bei der AfD und NPD zweistellige Prozentpunkte erreichten.
Parteien müssen deshalb schleunigst Menschen Gehör schenken, die diesen Zusammenhang nicht verinnerlicht haben. Lernen, was sie davon abhält, wählen zu gehen. Verstehen, warum ihnen Politik und Demokratie egal sind.
Das ist keine Frage von inhaltlichen Angeboten. Das ist eine Frage, auf welche Zielgruppen sich Parteien ausrichten. Dass Nichtwähler ihre wichtigste sind, verkennen die meisten.
In seinem Beitrag definiert Autor Müller-Vogg drei Arten von Nichtwählern: Die erste traue der Politik grundsätzlich nichts zu, schreibt er. Die zweite könne keine inhaltlichen Unterschiede zwischen den Parteien ausmachen. Und die dritte vertraue auf Gott und die Welt. „Es ist noch immer gut gegangen" - egal ob ich zur Wahl gehe oder nicht.
Unerwähnt lässt Müller-Vogg eine vierte Gruppe, die zunehmend wächst. Sie vereint Menschen, die sich von der Politik auf falsche Weise oder gar nicht angesprochen fühlen.
Ein Blick in unseren Alltag verdeutlicht das Problem: Für viele Deutsche hat Digitalität inzwischen eine zentrale Bedeutung. Sie surfen auf Smartphones. Sie twittern. Sie sind bei Facebook aktiv. Kurzum: Sie leben digital.
Dieser Zustand hat erheblichen Einfluss darauf, für welche Themen sich die Menschen hierzulande interessieren. Welche Meinungen sie vertreten. Worüber sie sich äußern. Und vor allem: wo sie sich äußern.
Ein Großteil der gesellschaftlichen Debatten läuft mittlerweile über Soziale Netzwerke ab. Dort ist es die Bevölkerung, die den Ton angibt, nicht Politiker. Das ist ihr Beitrag zur Demokratie. Er ist deshalb so besonders, weil er nicht einmal in fünf Jahren stattfindet, wenn Landtagswahlen in einem Bundesland abgehalten werden, sondern tagtäglich. Auf Kanälen, die existenzieller Bestandteil im Leben vieler Bürger sind.
Politiker mögen vieles von sich behaupten können - dass sie im digitalen Zeitalter angekommen sind, sicherlich nicht. Die Präsenz von Parteien und ihren Akteuren in Sozialen Netzwerken ist erschreckend. Ein Austausch mit Wählern findet allenfalls oberflächlich statt. Auf ihren privaten Accounts treten (Spitzen-)Politiker so gut wie nie mit Bürgern in Kontakt.
Die digitale Sturheit, die digitale Ignoranz der Parteien: auch sie treibt Menschen in den Politikverdruss. Und hält sie davon ab, wählen zu gehen.
Aus diesem Grund müssen Parteien einen radikalen Wandel vollziehen. Gespräche zwischen Politikern und Bürgern, inhaltliche Debatten, Wahlkämpfe - all das muss künftig schwerpunktmäßig digital ablaufen. In Sozialen Netzwerken. Dort, wo sich Menschen tummeln. Dort, wo die Gesellschaft ist. Dort, wo Demokratie stattfindet. Sonst gehen bald noch weniger Bürger zur Wahl.
„An einer niedrigen Wahlbeteiligung", schreibt Hugo-Müller Vogg in seinem Beitrag „ist noch keine Demokratie zerbrochen".
Nun, Zeiten können sich ändern.