
Lappland. Was erweckt es in Ihnen? Lassen auch Sie sich bezaubern von der Natur und der Stille dieses faszinierenden Fleckens Erde.
Yrjö ging zügig, mit ausholenden Schritten wie die eines Elches, den stetig leicht bergauf gehenden Waldweg zum Dorffriedhof hinauf. Der Friedhof lag inmitten des nicht sehr dichten Kiefernwaldes. Wald gab es in Hülle und Fülle, 300 Kilometer jenseits des Polarkreises.
Aber er bestand aus wenig Unterholz. Die Bäume wuchsen verschwenderisch weit auseinander, als wüssten sie vom vielen unbewohnten Platz, der ihnen für ihre Ausbreitung zur Verfügung stand. Seine Alaskan Malamutehündin Kinkku, sie trug den Namen - Schinken - zu Recht, da sie selbst die für diese Rasse typische Verfressenheit übertraf, zog wild an der Leine.
Er hatte Mühe Schritt zu halten, spürte, dass er bereits zu schwitzen begann und wusste, wenn er stehen bliebe, dann würden aus angenehmen minus fünfzehn Grad eine unangenehme Angelegenheit werden. Die höchsten Kiefern und Birken der Gegend reckten das Haupt stolz dem Himmel entgegen, als wollten sie den Seelen der Neuen, die zu ihren Füßen gebettet wurden, die Richtung weisen.
Wie auch Kirchtürme war der gesamte Baumbestand innerhalb des Gottesackers höher als irgendwo sonst und hob sich ab vom Rest. Man sah den großen, erhabenen Bäumen ihr Alter an. Sie schienen selbst den nach Holz und Geld gierenden Menschen, derer so viele zu ihren Wurzeln lagen, überlegen zu sein.
Die Friedhofsmauer, gesetzt aus ansehnlichen Steinen, die vor langer Zeit mühsam aus dem nahen Fluss hierher geschleppt wurden, konnte man schon von weitem sehen. Umrahmt von dieser mittelalterlich anmutenden, fast eineinhalb Meter hohen Steinmauer, fühlten sich Tote wie Lebendige gut behütet wie in einer Burg. Das Alter sprang einem hier entgegen, war greifbar.
Nicht mehr ganz im rechten Winkel, aber respektvoll, trotzten bis zu 300 Jahre alte Kunstwerke vergangener Steinmetze der Unbarmherzigkeit der Zeit und der noch unbarmherzigeren Polarkälte. Wie das schwarze Schaf inmitten der andersfarbigen Artgenossen, jedoch umgekehrt, nahmen sich nur einige weiße Holzkreuze das Recht vor zu existieren. Der stolze, massive Stein herrschte über das Gräberfeld, überdauerte Kriege, Hungersnöte, strengsten Frost und alle Kreuze aus Holz.
Es gab wenig, das angepflanzt wurde. Vielmehr war der Boden, der letzten Ruhestätte für die Einwohner des kleinen lappischen Dorfes, kaum zu unterscheiden vom übrigen Waldboden. Wild wuchernd bedeckten ihn Blau- und Preiselbeerpflanzen, unterbrochen von den getretenen Wegen der Angehörigen. Das Erdreich war im Friedhof dichter als im restlichen Wald und wies, da die Steinmauer für Rentiere unüberwindbar war, viel mehr Flechten auf. Er war im Gegensatz zu den Bewohnern, die darunter lagen, voller Leben.
Seit 45 Jahren ruhte dort Yrjös, mit acht Monaten im Mutterleib verstorbener, Sohn. Er band die Leine an den gewohnten Baum vor dem Eingang, war überzeugt, dass sein Vierbeiner ebenso gerne hierher kam; wusste er doch nichts von dem Vogelhaus auf der anderen Seite. Menschen versorgten es mit Vogelfutter und Eichelhäher die ähnlich wild fraßen wie Kinkku, warfen es zu Boden, gaben kleinen Nagern, wenn die Hündin da war, auch größeren Tieren, ein Stück vom Kuchen ab.
Der Hund saß ruhig da und schaute seinem Herrchen nach, der durch die Öffnung in der Mauer ging und das schwere Eisentor hinter sich schloss. Sobald Yrjö verschwand, wirbelte sie den Düften der Nagetiere und den Körnern entgegen, vergrub ihre Schnauze in den Untergrund.
Da in Lappland grundsätzlich kein Platzmangel herrschte, standen die Gräber weit auseinander und wirkten wild durcheinander gewürfelt, als wären die Toten vom Himmel gefallen und genau so, wie sie aufkamen, beerdigt worden. Yrjö war immer schon verleitet die Individualität zu durchschauen, versuchte von Anfang an herauszufinden, wo die Symmetrie versteckt lag. Vielleicht machte gerade diese Besonderheit, da Friedhof eigentlich sonst stets traurig, ihn so sympathisch.
Er fühlte hier Friede, die Mauer sorgte für Geborgenheit, die Weite für Freiheit, die großen Bäume und alten Gräber für Bestand und Respekt vor dem Alter, der einem Selbst, in jenen Jahren, nur mehr selten entgegengebracht wurde.
Dies sind die ersten 4096 Anschläge des spannenden und unterhaltsamen
Entwicklungsromans »Pilluralli«. Einem Werk aus Lappland!
Erfahren Sie mehr über die Eigenheiten und Traditionen der Einwohner Nordfinnlands. Erleben Sie Landschaften, entdecken Sie die letzte Wildnis Europas.
Mikki H.
PILLURALLI

ATPC Media
ISBN 978-1499603309