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Haben wir, die wir jedes Jahr Silvester neu vor den Fernsehern kleben, uns nicht schon immer gefragt, warum dieses legendäre Dinner zum neunzigsten Geburtstag mit Admiral Schneider, Sir Toby, Mr. Pommeroy und Mr. Winterbottom und der zierlich gealterten feinen Miss Sophie eigentlich zustande gekommen ist?
An diesem Abend erfahren sie es garantiert und es sei so viel verraten, dass der Butler James zunächst einmal ein furioses Ereignis ist, wenn auch immer betrunken, und ein so machtvoller Trinker, dass er auch 4711 und Möbelpolitur keineswegs verachtet. Wie Janosch Roloff die Treppe hinuntersegelt und dabei im Staccato die Stufen regelrecht tackert, um anschließend mit fast immer gebeugtem Kreuz als Quasibuckliger durch den Raum zu rudern, urplötzlich stehenzubleiben und immer so fort zu trinken, mit seiner hinreißenden Flechtfrisur, das ist genauso wie der Rest des Ensembles preisverdächtig, so komisch und brilliant agiert das Herrenquartett um die junge Miss Sophie von Julia Karl, die gekonnt zwischen vulgärer, zickiger Kratzbürste, ausfallendem Miststück und weißhäutigem Vamp in stetig wechselnden meist tief ausgeschnittenen Kostümen von Hippi bis Tutu, von Abendkleid bis Krankenschwesternkleidchen über Dessous und dem schon auf das Tigerfell vorausweisenden Abendmantel, über Gitzerbustier nebst diversen Miniröcken variiert.
Die junge und fesche Miss Sophie vögelt wohl (passend zur sexuellen Revolution der 70er) alles, was nicht bei zehn auf den Bäumen ist, und es ist keineswegs so sicher, ob sie tatsächlich die adelige Herkunft hat, die ihrem distinguierten Auftritt im Sketch zu erwarten wäre.
Aber ihre frauliche Ausstrahlung, der sich ja selbst der gealterte James zum neunzigsten Geburtstag kaum entziehen kann, führt natürlich dazu, dass ihr die Herrenwelt einschließlich der beflissentlich bemühten beiden Inspektoren DeCraven und Oggerty, ersterer der Chief, der sich nicht an Miss Sophies Dekollete sattsehen kann und dafür immer die Demütigung des reinen Inspektor hinnehmen muss. Thomas Krutmann ist als verklemmt-beflissentlicher Chiefinspector ebenso kultverdächtigt, der eigentlich von nichts mehr träumt als einem Schäferstündchen mit der stetig sich den Verdächtigungen entwindenen Miss Sophie, während ihr ewig trunkener Diener mit einer erstaunlichen Kaltblütigkeit das Gaunerprächen komplettiert.
James erinnert sicher nicht umsonst ein wenig an den Frank N Furter aus der Rocky Horror Picture Show, deren Musik nebst Glitzerkugel und Stroboskop einerseits ebenso die 70er assoziiert und dem ganzen wie ein Uhrwerk abgespulten Gagfeuerwerk von Anfang an den Schmiss gibt, der aus dem Abend genau die kultige Klamotte macht, die Theobalt sich gedacht hat, wobei der Strichkönig Volker Lippmann ohne den dramaturgischen Ablauf und den Spannungsbogen zu beschädigen klug kürzt, sich aber zudem nicht in reinem Slapstick erschöpft, sondern bewahrheitet, dass er ein toller Regisseur ist, der vor allem Schauspieler liebt und ihnen auch Räume zur Entfaltung bietet. Eine so gesamtpräzise-gute Ensembleleistung ohne Ausfälle habe ich lange auf Kölns freien Bühnen nicht mehr gesehen.
Natürlich vermisst man ihn ein wenig in seinem Haustheater, denn er ist schon ein immerwährendes Ereignis aus der Bühne, aber an diesem Abend kann er nur konzentriert auf den Bühnenablauf ein wahres Feuerwerk an Einfällen abbrennen, wobei er selbst der Meinung Ausdruck verleiht, dass es womöglich zuviel geworden wäre, hätte er nicht mit einer sehr knappen Probenzeit auskommen müssen. Mich erinnert dieses Phänomen an Peter Zadeks englische Jahre, in denen er zuweilen in Wochenfrist ganze Inszenierungen bauen musste und so zu diesem tiefen Vertrauen zu guten Schauspielern und der exquisiten handwerklichen Qualität seiner Regiearbeiten gelangte.
Speziell ist allerdings die Art mit der sich Miss Sophie und der Butler James McMullen anschließend der diversen Herren entledigen, wobei die beiden Inspektoren alles versuchen, um sie der Gewalttaten zu überführen, was diesen Herrn trotz aller Cleverniss nicht gelingen mag, denn obwohl Miss Sophie ihren Butler denunziert, verrät und bis zur Peitschenmisshandlung dominiert, am Ende ist der doch ihr ein und alles, und wenn zum Schluss des Abends beide beinahe gefährlich auf der Treppe jonglieren und James volltrunken, nun weder Herr seiner Körperlichkeit noch seiner Stimme, sein vom Publikum im Chor mitgesprochenes „I do my very best" schmettert, dann ist alles scheinbar wieder in Butter, na ja fast, fünf Herren haben auf absurdeste Weise ihr Leben lassen müssen. Sie ahnen, wer es war und warum das Diner nun jährlich bis zum neunzigsten Geburtstag Jahr für Jahr war. Wer der Fünfte ist, das soll nicht verraten sei, denn Gerold Theobalt fügt dem Duo James/Sophie, das durchtrieben und verruchter nicht sein könnte, ein wunderbares Arsenal an Figuren hinzu.
Aus dem Tigerfell des Patenkindes von Miss Sophie, einem sibirischen Exemplar seiner Gattin, ist in der Rückblende ein Eisbärfell nebst Kopf geworden, und genauso wie darüber keineswegs James fällt, sondern Andere, so unterläuft die Inszenierung gekonnt Erwartungshaltungen und bedient sie indirekt an anderer Stelle, zum Beispiel wenn das Hackenschlagen dem persönlich gar nicht auftretenden Admiral Schneider genommen und des Inspektors Assistenten zugeordnet wird. So macht es Lippmann stetig, wirbelt die Einfälle herum, und führt seine Darsteller zu Höchstleistungen.
Wunderbar die Körpersprache des sich windenden und weidenden, stets zwischen Demütigung und Triumph hin- und herpendelnden Chefinspektors von Thomas Krutmann, der mit seinen Händen und seinem durchaus knautschfähigen Gesicht einerseits zwischen Miss Sophies Brüsten versinkt und einen Tanz seiner Hände und Finger veranstaltet, so wie Janosch Roloffs James es ihm mit seinen fast gummiartigen Beinen gleichtut, bevor der dümmlich-impertinente ewig hackenschlagende Maxi von Mühlen als Inspector Oggerty beinahe den Vogel abschießt.
Wie, auch das sei nicht verraten, auch nicht welche Rolle neben den vier bekannten Herren, der Hausmeister Hampton und der Vater von Mr. Pommeroy spielen. Aber verraten sei, dass Jörg Kernbach alle in meisterhaften Typenwechseln dahinchargiert, dass es eine Freude ist. Als Mr. Winterbottom, einer Mischung von Klaus Kinski und Eddy Ahrendt, gibt er wohl die Krönung und sogar Klaus Kinski tritt wie weiland Hitchcock indirekt auf...Die präzisen Kostüme stammen wie immer von Dejan Radulovic.
Gekonnt spielt der Abend mit dem Krimikommödiengenre, zitiert und assoziiert, dass es nur so kracht, wobei der berührte Erinnerungsbogen nicht nur zwischen Edgar Wallace und Billy Wilder geschickt hin- und herschwingt,und manch fast artistische Körpereinlage zeigt, was in diesem ja sicher nicht unbekannten Theater Tiefrot in Köln steckt, das außerdem ansonsten als Sozusageneinmannbetrieb mit Hilfe eine Programmbreite zeigt, die beachtlich ist. Und das meine nicht nur ich in Köln.
Kein Wunder, dass das Publikum die Schauspieler und auch Regisseur und Autor am Ende ganz zu recht bejubelt, bevor man wie üblich im Tiefrot sozusagen charmant ,hinausgeworfen' wird. Wenn das präzise Bühnenuhrwerk in den im Theater üblicherweise besseren Folgevorstellungen in weitere Fahrt gekommen ist, dann hat dieser Theaterabend das Zeug zum Kultstück, das noch jahrelang weiterlaufen könnte.
Und die nächsten beiden Premieren sind bereits wieder in Sichtweite.