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Macht: Wieso wir Erfolg haben. Und scheitern.

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Die Medienresonanz auf das Buch von Katja Kraus („Macht. Geschichten von Erfolg und Scheitern") zeigt, wie sehr eine Gesellschaft, in der es immer weniger Verbindlichkeiten gibt und Laufbahnen ihre Sicherheit verlieren, ein solches Buch braucht.

Sie hat es nur schreiben können, weil es ihre eigene Geschichte gibt: Von 2003 bis März 2011 gehörte sie dem Vorstand des Hamburger SV an. Damit besetzte sie als erste Frau eine Vorstandsposition bei einem Bundesligisten. In ihrer Zeit in der Nationalmannschaft der Frauen von 1995 bis 1997 wurde sie Vize-Weltmeisterin und Europameisterin. Als ihr Vertrag beim HSV nicht verlängert wurde, stand sie vor einer neuen Lebenssituation, aus der heraus sich auch die Qualität des Buches erklärt: aus der Stille und aus der Zeit der Verdichtung und des Innehaltens, die ihr erlaubte, sich ganz und gar auf andere Menschen einzulassen.

Sie traf sich mit 17 Gesprächspartnern aus Politik, Wirtschaft, Sport und Kultur, die ebenfalls Aufstieg und Fall erlebt haben: Wolfgang Berghofer, Björn Engholm, Tanja Gönner, Sven Hannawald, Thomas Hitzelsperger, Maria Jepsen, Heather Jurgensen, Peter Kabel, Hans Werner Kilz, Roland Koch, Hera Lind, Hartmut Mehdorn, Udo Röbel, Gesine Schwan, Ron Sommer, Ole von Beust und Andrea Ypsilanti.

„Mächtige" werden nicht durch sich selbst groß, sondern durch die, die sie als „groß" erklären. In ihrer Wirkungszeit werden sie von den Medien oft frei von Makeln dargestellt und überhöht - bis zum Zeitpunkt des Abstiegs, der erst spannend wird, wenn die Fallhöhe besonders hoch ist.

Natürlich wählt, wer sich auf ein Spielfeld begibt, immer auch die Spielregeln, nach denen gespielt wird - mit allen Folgen, die dazugehören. Als Sportlerin hat Katja Kraus schon früh gelernt, mit Niederlagen umzugehen. Sie gehören zum Leben und machen es vollständig. Was sie in ihrem Buch kritisiert, ist jedoch der Umgang mit jenen, die am Ende ihrer Karriere einer öffentlichen Betrachtung und vernichtenden Bewertung ausgesetzt sind. Im kollektiven Gedächtnis bleibt am Ende oft nur die Negativberichterstattung, die den Moment des Falls festhält.

Das Buch ist ein wesentlicher Beitrag zur Nachhaltigkeit, ohne dass Katja Kraus dieses Wort bemühen muss, denn sie plädiert dafür, dass die Gesamtleistungen eines Menschen nicht am Ende gemessen und beurteilt werden, sondern auch in ihren sonstigen Lebensleistungen aufgehen sollte: "Wir sind irrsinnig schnell darin geworden, zu urteilen, Menschen ihre Kompetenz abzusprechen, ohne darüber nachzudenken, welche Fähigkeiten sie überhaupt erst in die exponierte Position gebracht haben. Die Härte, mit der das geschieht, und die Rücksichtslosigkeit im Umgang mit der persönlichen Integrität sind erschreckend."

Wer andere beurteilt, legt die Maßstäbe seines eigenen Bezugssystems an, spricht also von sich selbst. Jesus hat gegen die Ungerechten das Modell geliefert: „Wie darfst du sagen zu deinem Bruder: Halt, ich will dir den Splitter aus deinem Auge ziehen - und siehe, ein Balken ist in deinem Auge. Du Heuchler ..." (Matthäus, 7, 1-5)

Inwiefern die Porträtierten wirklich „gescheitert" sind, hat viel mit der Eigen- und Fremdwahrnehmung zu tun. Dabei ist auch ein Blick zurück auf die sprachhistorische Herkunft des Begriffs hilfreich: So waren zuerst die zerbrochenen Holzscheite (althochdeutsch scît), Planken des Schiffsrumpfes, die in Brüche gingen und ein Schiff zum "Scheitern" brachten. Erst im 17. und 18. Jahrhundert wurde der Terminus im übertragenen Sinn allgemein gebräuchlich - für das Scheitern der eigenen Pläne und Hoffnungen.

Ähnlich verbindet das spanische fracasar die metaphorische Bedeutung "Schiffbruch erleiden" mit dem späteren "Misslingen". Schmerz, Leid und Schiffbruch wurden dann in unserer Kultur mit Schwachsein gleichgesetzt (Arno Gruen: „Dem Leben entfremdet").

Damit verbunden ist in Katja Kraus' Buch das unausweichliche Ende der Macht: „Was bleibt, wenn die Funktion auch den Menschen eingenommen hat, und wie man zurückfindet zum eigentlichen Kern?" Viele fallen in ein emotionales Loch und schaffen es erst nach einiger Zeit, sich in der neuen Situation zurechtzufinden. Einigen fehlten die Lebensaufgabe, eine Ordnung in den Abläufen des täglichen Lebens, Verankerung, Zugehörigkeit, Verortung, die der Mensch für seine Identität braucht.

An diesen Stellen werden im Buch durchlässige Grenzen zur Generation Y sichtbar, für die sich die Frage „Was bin ich ohne meine Funktion?" gar nicht erst stellt. Was sie auszeichnet, ist Eigensinnigkeit als Bedingung für außergewöhnliche Kreativität, Begeisterung, Veränderungsbereitschaft und Innovationsfähigkeit. Sie ist auch eher bereit als ihre Vorgänger, nein zu sagen. „Das Nein wäre ja Eigensinn, und je mehr Wohlerzogenheit einer in sich hat, desto mehr ist ihm der Eigensinn ausgetrieben", schrieb Peter Sloterdijk schon vor 30 Jahren in seiner „Kritik der zynischen Vernunft".

Während die Generation X noch verstärkt in Konzerne drängte und sich über Hierarchien, Dienstwagen und Titel definierte, sucht sich die Generation Y eher kleine Firmen, die durch eine Vernetzungskultur auf Augenhöhe geprägt ist. Eine kontrollierte Arbeitswelt mit Zeiterfassung erscheint der neuen Generation nicht mehr zeitgemäß. Wenn der Sprecher der Digital Natives, Philipp Riederle, sagt, dass heute eine Stärke ist, was früher als Schwäche galt, so zeigt sich das auch am Karrierebeispiel von Katja Kraus, die früher nie Elfmeter gehalten hat: „Ich habe immer zu viel gedacht in solchen Situationen. Wenn ich überlegt habe, was die Schützin denkt, was ich denke, was sie denkt - dann war der Ball schon drin."

Tiefes Nachdenken und Reflexion haben sich heute bei ihr einen Möglichkeitsraum geschaffen, ohne den das Buch „Macht" hätte nicht entstehen können. Schreiben ohne Empathie, Erkanntes und Durchdachtes ist nicht möglich. Das Wesentliche, das auf dem Fußballplatz verborgen bleiben musste, durfte erst im neuen Leben in Erscheinung treten, als es Literatur geworden war. Das Buch ist vor diesem Hintergrund auch das UND zwischen den Generationen X und Y.

Wenn Katja Kraus das Gefühl beschreibt, „im reißenden Fluss zu schwimmen, die Baumstämme zu sehen, greifbar zu haben und doch vorbeitreiben zu lassen", sich der Veränderung hinzugeben und selbstbestimmt zu sein, erinnert dies an das essayistische Leben ihrer Nachfolger, die den Möglichkeitssinn dem Realitätssinn vorzieht und einen unbegrenzten Raum alternativer Denk- und Handlungsweisen vor sich hat. Dabei ist Scheitern niemals ein Schlusspunkt, sondern eine Kehrtwende hin zu etwas Neuem.

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