Liebe deutsche Wirtschaft, wie geht es Dir?
Du machst weiterhin einen sehr gesunden Eindruck. Umso überraschender für uns alle, dass Dir 11.600 Menschen demnächst abhanden kommen könnten. Sie sollen bei Siemens, einem Deiner größten Arbeitgeber, ihren Job verlieren, hieß es vor ein paar Tagen. Ja, es stimmt, der Siemens-Chef Joe Kaeser hat das nach all der ungewollten Medienaufmerksamkeit umgehend revidiert: es werde lediglich umstrukturiert und man versuche dabei, betroffene Mitarbeiter an anderer Stelle im Unternehmen einzusetzen. Ich hoffe nur, dass er nicht auch das demnächst wieder revidiert.
Es ist schon erstaunlich, liebe deutsche Wirtschaft, wie einem Deiner führenden Vertreter, der allein in Deutschland für das Wohl von etwa 120.000 Mitarbeitern verantwortlich ist, Worte wie Arbeitsplatz und Abbau, die einen großen Teil der Belegschaft in die Schockstarre befördern, so einfach herausrutschen.
Aber, um ehrlich zu sein, ist das für mich schon lange nicht mehr so erstaunlich. Und es handelt sich auch nicht nur um die Kommunikationspanne eines Topmanagers. Schließlich ist das alles nur eine Frage der Perspektive.
Der Gewinn pro Aktie muss steigen - und zwar schnell
Ein Mann wie Joe Kaeser, der sich als kaufmännischer Leiter bei Siemens hochdiente, hat vor allem die Zahlen im Blick. Als ausgewiesener Finanzexperte verkündete er kurz nach seinem Antritt, was wirklich wichtig ist, wenn man die Finanzmärkte glücklich machen will: Wieder einmal sollen bei Siemens Abteilungen zusammengelegt oder geschlossen werden und dadurch bis Herbst 2016 die Kosten um eine Milliarde Euro gedrückt werden. Denn wer die Kosten senkt, der steigert kurzfristig die Gewinne, ohne dafür erst mit viel Aufwand bessere Produkte herstellen zu müssen. Das würde ja auch viel zu lange dauern. Eine frohe Botschaft für alle Shareholder, die von Siemens Umsatzrendite von sieben Prozent äußerst enttäuscht sind.
Nein, Siemens ist mit einem Gewinn von 4,6 Milliarden Euro bei weitem kein Sanierungsfall. Aber es geht bei den Umstrukturierungsplänen ja auch nicht um eine nachhaltige Entwicklung, wie das Kaeser behauptet. Das einzige Ziel der Konzernleitung: Der Gewinn pro Aktie muss steigen, und zwar schnell.
Ja, liebe deutsche Wirtschaft: Was einer Deiner Firmenchefs heutzutage zu fürchten hat, sind keine demonstrierenden Mitarbeiter, sondern enttäuschte Investoren. Mitarbeiter sind nur als Kostenfaktor eine relevante Größe. Ein echter Entscheider profiliert sich in den Augen der Finanzmarktexperten dann, wenn er seinen Laden erst einmal richtig durchschüttelt und die x-te Umstrukturierung zu Lasten der Mitarbeiter durchsetzt, um damit scheinbar Kosten zu senken.
Das Problem liegt nicht bei den Mitarbeiterkosten
Dabei hat Siemens nicht unbedingt zu viele Menschen und zu hohe Kosten, sondern zum Beispiel handfeste Probleme in der Fertigung und Entwicklung. So scheiterte der traditionsreiche Technologie-Konzern mehrfach daran, 16 neue ICE-Züge an die Deutsche Bahn zu übergeben. Eine hausgemachte Blamage. Denn wer permanent im großen Stil umorganisiert, Personal abbaut oder verschiebt, muss damit rechnen, dass Produktionsprozesse nicht mehr harmonisch laufen. Es sind die Arbeitnehmer, die mit ihrem Know-how einem Unternehmen gerade dann fehlen, wenn ein Projekt nicht nach Plan läuft. Und dennoch stellt man sich in viel zu vielen Firmenzentralen immer wieder die Frage: „Können wir die Arbeit nicht auch mit ein paar Leuten weniger stemmen?".
Vielleicht würde ein Ingenieur statt eines Finanzexperten an der Spitze eines Technologieunternehmens anders entscheiden. Vielleicht würde er sogar noch mehr Menschen einstellen. Echte Experten, die tolle Züge pünktlich bauen und liefern. Aber seit geraumer Zeit bevorzugt man bei Siemens Kaufleute im Topmanagement, die im Zweifelsfall lieber Aufträge akquirieren als die technischen Seiten ausreichend im Blick zu behalten, so wie es Menschen könnten, die diese Produkte entwickeln.
Und nun soll die Zugsparte auch noch nach Frankreich verkauft werden. Schnelle Züge lohnen sich nicht mehr, so scheint es. Vielleicht ändert sich das ja in eine paar Jahren wieder. Dann wird es diese Kompetenz bei Siemens nicht mehr geben und man müsste sie hektisch zukaufen. Wie bei der Solarenergie-Sparte mit der Kaesers Vorgänger eine Milliarde Euro in den Sand setzte bis sie geschlossen werden musste. Wer solch ein Debakel verschuldet? Nun, auf jeden Fall nicht diejenigen, die demnächst vielleicht ihren Job verlieren.
Die Falschen müssen gehen
Liebe deutsche Wirtschaft, bei einer anderen Deiner bekannten Firmengrößen sieht es in Sachen Wertschätzung leider nicht anders aus. Die Lufthansa will sich ebenfalls von einigen ihrer Mitarbeiter trennen. Vielleicht sind die Kosten dort sogar tatsächlich ein drängendes Problem. Aber auch hier ist das eine Frage der Perspektive.
„Schauen Sie nach links, schauen Sie nach rechts, den einen oder anderen werden Sie bald nicht mehr sehen" soll ein Personalchef bei einer Führungskräftetagung seinen Kollegen gegenüber verkündet haben. So spricht also ein Mensch, der für Menschen verantwortlich ist.
Leider, liebe deutsche Wirtschaft, müssen bei Dir viel zu oft die Falschen gehen. Die auf den unteren oder mittleren Ebenen, die ihre Firma in der Regel mit ihrer täglichen Arbeit zusammenhalten. Und die ihre Firma mit ihrem Fachwissen wirklich nach vorne brächten, würde man nur ab und an auf sie hören. Die eigentlichen Verantwortlichen, diejenigen, die nicht selten 500 mal so viel verdienen wie ihre einfachen Angestellten, trifft es dagegen so gut wie nie.
Ehrlich gesagt, liebe deutsche Wirtschaft, wenn wir wollen, dass es Dir auch in Zukunft gut geht, sollten wir das sobald wie möglich von Grund auf ändern.
Du machst weiterhin einen sehr gesunden Eindruck. Umso überraschender für uns alle, dass Dir 11.600 Menschen demnächst abhanden kommen könnten. Sie sollen bei Siemens, einem Deiner größten Arbeitgeber, ihren Job verlieren, hieß es vor ein paar Tagen. Ja, es stimmt, der Siemens-Chef Joe Kaeser hat das nach all der ungewollten Medienaufmerksamkeit umgehend revidiert: es werde lediglich umstrukturiert und man versuche dabei, betroffene Mitarbeiter an anderer Stelle im Unternehmen einzusetzen. Ich hoffe nur, dass er nicht auch das demnächst wieder revidiert.
Es ist schon erstaunlich, liebe deutsche Wirtschaft, wie einem Deiner führenden Vertreter, der allein in Deutschland für das Wohl von etwa 120.000 Mitarbeitern verantwortlich ist, Worte wie Arbeitsplatz und Abbau, die einen großen Teil der Belegschaft in die Schockstarre befördern, so einfach herausrutschen.
Aber, um ehrlich zu sein, ist das für mich schon lange nicht mehr so erstaunlich. Und es handelt sich auch nicht nur um die Kommunikationspanne eines Topmanagers. Schließlich ist das alles nur eine Frage der Perspektive.
Der Gewinn pro Aktie muss steigen - und zwar schnell
Ein Mann wie Joe Kaeser, der sich als kaufmännischer Leiter bei Siemens hochdiente, hat vor allem die Zahlen im Blick. Als ausgewiesener Finanzexperte verkündete er kurz nach seinem Antritt, was wirklich wichtig ist, wenn man die Finanzmärkte glücklich machen will: Wieder einmal sollen bei Siemens Abteilungen zusammengelegt oder geschlossen werden und dadurch bis Herbst 2016 die Kosten um eine Milliarde Euro gedrückt werden. Denn wer die Kosten senkt, der steigert kurzfristig die Gewinne, ohne dafür erst mit viel Aufwand bessere Produkte herstellen zu müssen. Das würde ja auch viel zu lange dauern. Eine frohe Botschaft für alle Shareholder, die von Siemens Umsatzrendite von sieben Prozent äußerst enttäuscht sind.
Nein, Siemens ist mit einem Gewinn von 4,6 Milliarden Euro bei weitem kein Sanierungsfall. Aber es geht bei den Umstrukturierungsplänen ja auch nicht um eine nachhaltige Entwicklung, wie das Kaeser behauptet. Das einzige Ziel der Konzernleitung: Der Gewinn pro Aktie muss steigen, und zwar schnell.
Ja, liebe deutsche Wirtschaft: Was einer Deiner Firmenchefs heutzutage zu fürchten hat, sind keine demonstrierenden Mitarbeiter, sondern enttäuschte Investoren. Mitarbeiter sind nur als Kostenfaktor eine relevante Größe. Ein echter Entscheider profiliert sich in den Augen der Finanzmarktexperten dann, wenn er seinen Laden erst einmal richtig durchschüttelt und die x-te Umstrukturierung zu Lasten der Mitarbeiter durchsetzt, um damit scheinbar Kosten zu senken.
Das Problem liegt nicht bei den Mitarbeiterkosten
Dabei hat Siemens nicht unbedingt zu viele Menschen und zu hohe Kosten, sondern zum Beispiel handfeste Probleme in der Fertigung und Entwicklung. So scheiterte der traditionsreiche Technologie-Konzern mehrfach daran, 16 neue ICE-Züge an die Deutsche Bahn zu übergeben. Eine hausgemachte Blamage. Denn wer permanent im großen Stil umorganisiert, Personal abbaut oder verschiebt, muss damit rechnen, dass Produktionsprozesse nicht mehr harmonisch laufen. Es sind die Arbeitnehmer, die mit ihrem Know-how einem Unternehmen gerade dann fehlen, wenn ein Projekt nicht nach Plan läuft. Und dennoch stellt man sich in viel zu vielen Firmenzentralen immer wieder die Frage: „Können wir die Arbeit nicht auch mit ein paar Leuten weniger stemmen?".
Vielleicht würde ein Ingenieur statt eines Finanzexperten an der Spitze eines Technologieunternehmens anders entscheiden. Vielleicht würde er sogar noch mehr Menschen einstellen. Echte Experten, die tolle Züge pünktlich bauen und liefern. Aber seit geraumer Zeit bevorzugt man bei Siemens Kaufleute im Topmanagement, die im Zweifelsfall lieber Aufträge akquirieren als die technischen Seiten ausreichend im Blick zu behalten, so wie es Menschen könnten, die diese Produkte entwickeln.
Und nun soll die Zugsparte auch noch nach Frankreich verkauft werden. Schnelle Züge lohnen sich nicht mehr, so scheint es. Vielleicht ändert sich das ja in eine paar Jahren wieder. Dann wird es diese Kompetenz bei Siemens nicht mehr geben und man müsste sie hektisch zukaufen. Wie bei der Solarenergie-Sparte mit der Kaesers Vorgänger eine Milliarde Euro in den Sand setzte bis sie geschlossen werden musste. Wer solch ein Debakel verschuldet? Nun, auf jeden Fall nicht diejenigen, die demnächst vielleicht ihren Job verlieren.
Die Falschen müssen gehen
Liebe deutsche Wirtschaft, bei einer anderen Deiner bekannten Firmengrößen sieht es in Sachen Wertschätzung leider nicht anders aus. Die Lufthansa will sich ebenfalls von einigen ihrer Mitarbeiter trennen. Vielleicht sind die Kosten dort sogar tatsächlich ein drängendes Problem. Aber auch hier ist das eine Frage der Perspektive.
„Schauen Sie nach links, schauen Sie nach rechts, den einen oder anderen werden Sie bald nicht mehr sehen" soll ein Personalchef bei einer Führungskräftetagung seinen Kollegen gegenüber verkündet haben. So spricht also ein Mensch, der für Menschen verantwortlich ist.
Leider, liebe deutsche Wirtschaft, müssen bei Dir viel zu oft die Falschen gehen. Die auf den unteren oder mittleren Ebenen, die ihre Firma in der Regel mit ihrer täglichen Arbeit zusammenhalten. Und die ihre Firma mit ihrem Fachwissen wirklich nach vorne brächten, würde man nur ab und an auf sie hören. Die eigentlichen Verantwortlichen, diejenigen, die nicht selten 500 mal so viel verdienen wie ihre einfachen Angestellten, trifft es dagegen so gut wie nie.
Ehrlich gesagt, liebe deutsche Wirtschaft, wenn wir wollen, dass es Dir auch in Zukunft gut geht, sollten wir das sobald wie möglich von Grund auf ändern.
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