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Wie ich versuche zu lernen, die Generation Y zu verstehen

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Was sind denn das für Kinder!

Ohne Ehrgeiz. Unpolitisch. Geradezu arbeitsscheu. Was soll denn aus denen einmal werden? Ich bin Mutter von einer, die dazugehört. Sie ist 18 und ich habe viele Jahre Gelegenheit gehabt, mir anzusehen, was da in meiner Wohnung und bei meinen Freunden heran wächst. Und so manches Mal habe ich mich dabei in einem Anflug von Selbstmitleid gefragt, ob wir Eltern jetzt die Kinder bekommen, die wir verdient haben.

Aber dann fragte mich meine Tochter eines Tages, was ich an ihr eigentlich auszusetzen habe. Etwa dass sie behütet aufgewachsen sei, materiell gesichert, immer mit dem neuesten Handy in den bauchnabelfreien Markenjeans? Taschen von Prada seien schließlich kein Teufelswerk, nur weil Mama immer noch mit einem Lederrucksack herumläuft. Ich finde, sie hat Recht.

Können wir wirklich darüber jammern, dass die Sprösslinge keine Bücher mehr lesen, wenn sie schon als Kleinkinder vor dem iPad entsorgt werden? Können wir uns beschweren, wenn sich der Ehrgeiz des Nachwuchses, sich kulturell zu bilden, auf DSDS und GNTM beschränkt? Wer hat diese Sendungen denn erfunden? Die fallen ja nicht vom Himmel. So fing ich - mit angemessener Distanz - an, die andere Seite dieser IT-Kids zu betrachten. Und musste mir eingestehen, die gefällt mir. Diese Ypsiloner beeindrucken mich nicht nur - sie verwirrt und irritiert mich, diese Jugend, weil sie ohne viel Aufheben ganz ruhig meine Welt ins Wanken bringt. Noch mehr: Karriere, Status und Erfolg sind dabei, die obersten Plätze auf der Prioritätenliste des Lebens zu verlieren. Superschlitten, tolle Häuser, Yacht und Skifahren in St. Tropez und Kitzbühel - wie bescheuert. Dienstfahrrad ist auch ok.

Sie reden nicht viel darüber, denn sie leben es längst. Höflich! Männer und Frauen gemeinsam, ohne sich im Geschlechterkampf zu verstricken. Wir haben sie ja auch zu gut erzogen, als dass die Generation Y ihren Eltern ihr „Fuck you!" ins Gesicht sagen würde. Da passiert etwas Wichtiges und wir, Eltern und Politikmacher, hinken hilflos hinterher. Wir jagen immer noch den gesellschaftspolitischen Idealen nach, mit denen wir aufgewachsen sind. Wir erleben eine Generation, die gar nicht alles anders machen will, sondern gar nicht anders kann. Sie wird alles anders machen.

Ein Beispiel: während wir alten Ahnen gerade gut 140 Unistellen installieren, um das Thema Gender zu erfassen, vereinfachen die Ypsiloner das so: bei einer Umfrage an der Uni wurden sie nach ihrem „Sex" gefragt. Eine kleine Auswahl der Antworten: „zweimal die Woche", „sometimes", „virgin" oder „nie alleine". Die Formulare wurden geändert. Seit Neuestem wird nach Gender gefragt. Ich würde das sofort „liken".

Null- Bock- Mentalität ist Geschichte.

Ich als 55-Jährige greise digitale Immigrantin würde mich ja gern ein wenig zurücklehnen und sagen, diese Computer Kinder, die irgendwann verkümmerte Nackenmuskeln und Handydaumenkrankheiten haben werden, und die ich dummerweise mit großgezogen habe, bringen es ja auch nicht. Aber weit gefehlt. Die Shell-Jugendstudie von 2010 hat ergeben, dass Tugenden wie Fleiß und Ehrgeiz bei den Jungen heutzutage besonders hoch im Kurs stehen. Mehr Jugendliche denn je erreichen einen qualifizierten Schulabschluss. Anschließend wird kürzer, zielgerichteter und effizienter studiert als es meiner Generation je eingefallen wäre. Den Typus Uni-Gammler, der sich nach 20 Semestern zum ersten Mal eine Prüfungsordnung ansieht, gibt es nicht mehr.

Sie sind einfach nur anders geworden, als wir ihre Entwicklung mit Knöpfen im Ohr und den Fingern auf Handytasten vorausgesehen haben. Michael Schulte-Markwort, Klinikdirektor der Kinderpsychiatrie am Universitätsklinikum in Hamburg meint:

„Erwachsene stehen den digitalen Medien oft zu misstrauisch gegenüber. Das ist wie mit der Sesamstraße, die der bayerische Rundfunk anfangs nicht ausstrahlen wollte, weil man überzeugt war, sie schadet den Kindern. Heute glauben wir, Facebook schade - doch die Kinder gehen kompetent damit um."

Wir kämpften gerne, unsere Brut geht einfach locker drüber weg, wenn sie was stört. "Diese Grenzen, wie ihr sie überschreiten wolltet mit eurem Flower-Power-Zeug, so was haben wir eben nicht mehr" erklärt mir David, der gerade sein Abitur mit einer eins vor dem Komma baut. „Unsere Ansprüche sind pragmatisch und deshalb gut" meint David. Gepampert werden will er nicht, aber wertgeschätzt.

Natürlich muss das nicht im totalen Glück enden.

Welche Auswüchse und Nebenwirkungen die neue Lebensart mit sich bringen kann, erleben wir bisher nur im Kleinen: Menschen vereinsamen vor ihrem Computer, Perverse finden in den sozialen Netzwerken ihr Eldorado. Das Internet macht Betrügereien im ganz großen Stil möglich. Der NSA-Abhörskandal Mitte 2013 ist sicher nur ein Anfang. Eine private Abgeschiedenheit nach dem Motto „my home is my castle" wollen sich meine Enkel wahrscheinlich gar nicht mehr vorstellen. Es ist der Anfang einer völlig neuen Öffentlichkeit, die - positiv betrachtet - vielleicht eines Tages auch imstande sein wird, Krisen und Interessenkonflikte anders zu lösen oder zu vermeiden.

Unsere Jahrtausendwendekinder sind selbstbewusster und die Welt ist farbiger. Christoph Schlingensief formulierte das so: „Ich habe nicht den Mond erreicht, ich habe meine politischen Ansichten nicht durchsetzen können, ich hab auch keine Massenbewegung erzeugt, ich habe keine Kunst kreiert, die sich durchsetzen wird. Mein Gott, was soll daran falsch sein". Der junge begabte Theaterregisseur starb 2010. Aber er hat seine Visionen weitergegeben. „Versuch`s, wenn du scheiterst, scheiterst du und wenn`s mal im Rückwärtsgang vorwärts geht, auch gut". Würde ich gerne lernen.

Ursula Kosser ist Autorin von „Ohne uns- Die Generation Y und ihre Absage an das Leistungsdenken".

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