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Darum bestimmt Yoga mein Leben

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Yoga ist hip, jede und jeder macht Yoga, Yoga ist überall. Übertrieben vielleicht, aber wenn man, wie ich in der Yogawelt mehr oder weniger zuhause ist, könnte man (ich) auf den Gedanken kommen, es gibt kaum mehr Menschen, die nicht Yoga praktizieren. Natürlich ist dies dem Umstand geschuldet, dass ich ein paar Ausbildungen auf diesem Gebiet absolviert habe und mich unter anderem damit beschäftige, mein Wissen und die Fertigkeiten halbwegs weiter zu geben. Aber genauer betrachtet gehen von all diesen Yogapraktizierenden die meisten einmal in der Woche in eine Yogastunde und das war's dann - vielleicht. Oder passiert auch mit wenig Yoga etwas mehr?

Denn das Faszinierende am Yoga ist für mich nicht nur, wie komme ich in jenes Asana, wie fühlt sich das an und wie komme ich dort wieder heraus, wie geht es mir direkt danach - nein, viel interessanter ist doch: Was passiert mit meinem Leben, wenn ich gerade nicht in der Yogastunde bin? Ein Sprung in die Vergangenheit mag vielleicht illustrieren, was für mich mittlerweile Yoga im Alltag bedeutet.

Es begann schleichend. Aufgewachsen in einer Familie, die sich mit Haushaltsgedöns, Aufräumen, Putzen und so weiter nur ungern beschäftigte und dafür, so snobby das auch klingt, Angestellte hatte, war ich mit den Anforderungen des Alltags, diplomatisch ausgedrückt, nicht wirklich vertraut. Natürlich gab es in der Pubertät die eine oder andere recht lautstark vorgetragene Mahnung meiner Mutter, ich möge doch Ordnung in meinem Zimmer schaffen.

Diese blieb aber im Allgemeinen schlicht ignoriert und ich pflegte mein geliebtes Chaos: Klamotten lagen auf dem Boden verstreut, Bücher, Hefte, Platten, Audio-Kassetten, Kram dazwischen, die Wände (Dachzimmer, ca. 4 Meter hoch) über und über mit Bildern, Sprüchen und Fotos verziert. Manchmal dämmerte mir, dass sich dieser Wust vielleicht irgendwie ungünstig auf meinen Gemütszustand auswirken könnte, aber egal. Ich, Teenager, ich muss so sein.

Es dauerte bis tief in meine Zwanziger, bis sich etwas änderte. Ich wurde schwanger, der Nestbautrieb setzte ein, und: Ich besuchte meine erste ernst zunehmende Yogastunde. Ich blieb bis heute beim Yoga und da muss es irgendwann passiert sein.

Krasser Lebenswandel

Schneller Vorlauf in die Gegenwart: Ich bin notorisch gründlich, ordentlich, Sauberkeitsfanatikerin, systematisch, pünktlich - okay, meistens. Was vor gut 20 Jahren noch gruselig für mich geklungen hätte, ist heute großer Bestandteil meines Lebensstils. Mit fortschreitender Yoga- und Meditationspraxis (zumindest schreibe ich es dieser zu) änderte sich langsam meine Haltung, mein Ver-halten. Achtung Modewort: Achtsamkeit macht sich breit, ich finde nun Gefallen an der Ästhetik des Ordentlichen, an Übersichtlichkeit auf meinem Schreibtisch (auch dem Computer-Desktop), nicht ganz so vollen Wänden, an weniger Material (Freude über meine iTunes-Bibliothek), Geschirr, das sofort abgespült und weggeräumt wird, daran, die Armaturen im Bad gleich nach der Benutzung abzuwischen, damit das kalkige Münchner Wasser nicht seine Spuren hinterlassen kann, das geliebte Shopping hat komplett seinen Reiz verloren (zu viele Klamotten nerven)... und und und...

Wenn ich nicht, sage wir, zwanzig Jahre so ein chaotisches Nervenbündel gewesen wäre, könnte ich mir heute, in den fortgeschrittenen Vierzigern, leicht neurotisches Verhalten unterstellen. Und tatsächlich, das Pendel schlägt manchmal fast in die andere Richtung aus: Natürlich muss ich manchmal aufpassen, dass ich nicht zwanghaft anfange, hinter meinem Freund oder meiner Tochter herzuräumen, dem Drang, in der Wohnung meiner Mutter den Putzlappen in die Hand zu nehmen, widerstehen, oder bei so manchen Freunden Verbesserungsvorschläge in der Haushaltsorganisation anzubringen (uah!).

Also versuche ich, auch dem inneren Drang nach Übersichtlichkeit die viel zitierte Achtsamkeit entgegen zu setzen: Welches Gefühl ist mit dem Wunsch nach Ordnung und Sauberkeit verbunden? Das kann nämlich ganz unterschiedlich sein, von der schlichten Beschäftigungstherapie und bloßem Aktivismus (Achtung PdP - Prokrastination durch Putzen!) bis hin zu einem Wunsch nach der Ruhe und Ausgeglichenheit, die sich während des Fensterputzens einstellt. Okay, mal ganz abgesehen von der Befriedigung auch bei Sonnenschein durch klare Scheiben zu blicken. Haushaltsgedöns als Meditation, auch ein (yogischer) Weg. Denn die in den Jahren gewachsene Fähigkeit, mich selbst zu betrachten, schreibe ich ebenfalls der Yoga- und der Meditationspraxis zu.

Schutzwall gegen eigene Aroganz

So schlich sich Yoga in meinen Alltag ein, ohne, dass ich mich groß disziplinieren musste. Kein Konzept, kein Training, kein Coach hatten mich darauf vorbereitet. Irgendwann, im Laufe der letzten Jahre fiel es mir auf - und natürlich langjährigen Freundinnen und Freunden: Du bist so ordentlich, das war früher nicht so ... Natürlich gibt es Einbrüche in alte Muster. Die Steuererklärung, die ich dann doch ein bisschen vor mir herschiebe - aber nur für ein paar Wochen, nicht wie früher, für ein ganzes Jahr, was das Finanzamt nicht besonders amüsierte. Frisch verliebt Ende letzten Jahres entdeckte ich doch nach zwei Wochen Ignoranz dem Staube gegenüber die häuslichen Spuren meiner Nachlässigkeit.

Wie schön. Das sind die Momente, in denen ich weiß: Nein, ich schnappe noch nicht ganz über, keine Putzneurose, habe durchaus noch innere Baustellen und einiges vor mir. Noch mehr Achtsamkeit, noch mehr Hinsehen und - horchen. Der Schutzwall gegen meine durchaus vorhandene Arroganz sind die Schwächen, Unehrlichkeiten und Nachlässigkeiten, die ich täglich an mir selbst beobachten kann. Der Groll gegen die doofe Nachbarin, die sich über mein Klavierspiel ärgert (Mitgefühl!), der Autofahrer, der mir die Vorfahrt nimmt (und dreißig Sekunden später mache ich denselben Mist), die Freiberufler-Klage: Kunden und Auftraggeber, die nicht pünktlich zahlen (oh, der Steuerberater bekommt noch Geld von mir, ups).

Am Ende sind es die vielen Kleinigkeiten und Gewohnheiten, die ein Leben ausmachen, nicht die großen Ereignisse, die wieder verblassen und letztlich mehr in der Erinnerung wirken. Wie ich morgens aufstehe, wie meinen Staubsauger halte, auf meinem Stuhl sitze, in welcher Haltung ich meinen Mitmenschen und insbesondere mir selbst begegne, da spiegelt sich Yoga. Die Asanas sind der Übungsweg, der mich zumindest, die Achtsamkeit mir selbst und anderen gegenüber lehrt und die ich hoffentlich auch ab und zu in die Welt tragen kann.
Einstweilen bitte ich um yogische Nachsicht. Ich übe und scheitere nach wie vor - und ich werde darüber berichten...

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