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Der Kampf um die Talente: Mythos und Paradoxien

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Der Kampf - im Englischen sogar der Krieg (War) - um Talente ist als gewichtiger Terminus schon seit geraumer Zeit aktuell. Dieser von der Unternehmensberatung McKinsey erschaffene Ausdruck soll einen Zustand beschreiben, in dem Unternehmen händeringend nach Fähigkeiten (nicht unbedingt nach Personen!) suchen, um ihre Marktposition im globalen Hyperwettbewerb zu behaupten. Befeuert wird eine solche Sichtweise auch durch einen Sinken der Bevölkerungszahlen in vielen entwickelten Ländern. Unsere Kinder - so diese Vision - werden unter einem Überangebot an Jobs ihre Anstellung aussuchen können. Schon heute müssten sich Unternehmen ja anstrengen, um gute Mitarbeiter aus einer vermeintlich hedonistisch und übermäßig selbstbewussten Generation Y anzuwerben.

Jedoch: von Anfang an haftete dieser Sichtweise etwas Paradoxes an, da in den meisten Ländern nach wie vor Arbeitslosigkeit und soziale Schieflagen nicht verschwunden sind, oder sogar wieder steigen: Ein Überfluss an Arbeitskraft bei einem gleichzeitigen Mangel an Talenten? Vielleicht sind also mit Talenten ja jene Fähigkeiten gemeint, welche Huxley in seinem Roman „Schöne neue Welt" den „Alphas" zugeschrieben hatte, jenen also, die durch außergewöhnliche Fähigkeiten die Geschicke anderer beeinflussen und steuern?

Der Kampf um die Talente würde dann bedeuten, dass es keinen Mangel an Talenten per se geben muss, aber die richtigen und wichtigen Fähigkeiten aus irgendeinem Grund eben knapp sind. Es handelt sich dann um kein demographisches, sondern ein politisches, soziales und bildungspolitisches Thema.

Davon abgesehen, dass die Bevölkerung der Welt stetig weiter wächst (wir reden also vor allem von knappen westlichen Talenten), zeigt die Entwicklung der Ökonomien und auch in den Betrieben ein recht zwiespältiges Bild: Noch immer haben 15 Prozent der Jugendlichen in der Europäischen Union weder einen Job noch eine Ausbildung. Die Nutzung der Talente der Frauen - ausgedrückt in Beschäftigungsquoten - ist selbst innerhalb der OECD sehr unterschiedlich (77 Prozent in Island und 66 Prozent in Deutschland. In der OECD insgesamt nur knapp 57 Prozent). In den letzten Jahren hat zudem eine technikgetriebene Rationalisierungswelle viele Beschäftigungsverhältnisse erfasst, deren Aufgaben zunächst standardisiert und dann automatisiert werden können (Steuerberatungsaktivitäten, Reisebürobuchungen etc.).

Dieses so entstehende neue „kognitive" Proletariat führt ebenfalls dazu, dass trotz geringeren Bevölkerungsdrucks weniger Jobs entstehen: In Ländern, in denen die Bevölkerung wächst, wird das Dilemma noch gravierender: In den USA ist die Beschäftigung seit 2008 drastisch gesunken und kann auch durch Wachstumsschübe in den nächsten Jahren absehbar nicht auf das Vorkrisenniveau zurückkommen (von welchen Industrien sollte ein solches Wachstum aber ausgehen?).

Um in der Weltwirtschaft kompetitiv zu bleiben, müssen Ökonomien zudem immer darauf achten, dass der Reallohn unter dem Produktivitätsgewinn bleibt. Ergebnis war oft ein Überangebot an qualifizierten und unqualifizierten Arbeitskräften. Dies hatte massive Folgen für die Gestaltung und Besetzung von Arbeitsplätzen in Unternehmen: Die meisten Unternehmen werden bei Neueinstellungen auch für Arbeitsplätze mit geringen Anforderungen eher (über-) qualifizierte Arbeitskräfte auswählen. Das führt zu einem weiteren Paradoxon: Nicht zuletzt durch eine breite Bildung gerade auch der Mittelschicht, können und wollen wir in der Regel mehr, als das Unternehmen von uns abruft und verwenden kann.

Das Unternehmen sucht sich immer nur bestimmte Aspekte unserer Persönlichkeit, Fähigkeiten und Ambitionen aus und negiert den Rest. Dieser liegt brach und wird von uns und unserer Umgebung dann nicht mehr verwendet. Diese Limitation mit dem Umgang von Talenten kann man so zusammenfassen: In der Regel - so ein im „Economist" erschienener Beitrag - „wissen Unternehmen nicht, wie sie Talente definieren sollen, geschweige denn, dass sie sie managen können". Diese systematische Unfähigkeit zeigt sich auch an dem Fakt, dass die für die Talente verantwortlichen Personalmanager in der Regel nicht zur Unternehmensspitze gehören: Ein Personalleiter kann nur in den seltensten Fällen die Firma leiten.

Dies ist dann aber auch nur konsequent: Wenn Talente allen Lippenbekenntnissen zum Trotz keine große Rolle bei der Ausrichtung der Firma spielen, ist die Rolle der Personalmanager auch nur entsprechend reduziert. Und so erklärt sich nebenbei auch der Erfolg des deutschen Mittelstands: Hier sind die Talente der Mitarbeiter den Entscheidern noch immer transparenter und können deshalb besser erkannt und eingesetzt werden.

Durch die Fortschritte in den soziale Medien haben nun abertausende Menschen mit ihren ungenutzten Talenten und hoher Motivation die Sache selbst in die Hand genommen: Ihre überschüssigen Talente - der sogenannte „kognitive Surplus" - vereinigen sich mit denen von anderen „freien Produzenten" im Netz, um mehr für sich und vor allem auch mit anderen zu tun. Der kognitive Surplus entwickelt freie Software, erstellt journalistischen Inhalte, designed Produkte und baut im Netz eine Enzyklopädie und Bildungsplattform von so ziemlich allen Lehr- und Wissensinhalten auf, die es gibt.

Und jetzt erfolgt eine weitere Paradoxie: Das Unternehmen, das durch seinen selektiven Zugriff auf die Fähigkeiten und Motivationen seiner Mitarbeiter den kognitiven Surplus erschuf, versucht diesen nun zu nutzen: Procter & Gamble etwa entwickelt nun schon 50 Prozent seiner neuen Produkte mit der Crowd. IT-Unternehmen positionieren ihre Dienstleistungen um Open Software herum, die die "freien Produzenten" bauen. Unternehmen versuchen sich allerorts zu „öffnen", um Talente zu nutzen: Im Jahre 2020 - so eine internationale Personalberatung - werden im Schnitt 50 Prozent der „Talente" einer Unternehmung von externen Quellen stammen.

Die so entstehende „Open Talent-Ökonomie" wird den „Kampf um die Talente" durch eine Veränderung der Unternehmensstrukturen auflösen: Der konsequente Prozess der Transformation von klassischen Unternehmen zu Hierarchie-Netz-Hybriden, die diese externen Talente nutzen wollen und müssen, wird unser Leben in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren nachhaltig beeinflussen: Neue Bildungspfade, neue individuelle Möglichkeiten und auch viele Unsicherheiten werden entstehen

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