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Sauber und günstig oder schmutzig und teuer? - Wie geht's weiter mit der Energiewende?

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Erst die Braunkohle, dann die Erneuerbaren

Die Katze ist aus dem Sack und seit vergangenem Freitag diskutiert die halbe Republik über das Eckpunktepapier für die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes von Wirtschaftsminister Gabriel. Die Industrie und die Stromversorger jubeln, EU-Kommissar Günther Oettinger und RWE-Chef Peter Terium loben, Verlierer dieser Vorschläge wären das Klima und die VerbraucherInnen. Und diejenigen, die den Ausbau der Erneuerbaren in den letzten Jahren vorangetrieben haben - also die Bürgerinnen und Bürger, viele Kommunen, das Handwerk und die vielen mittelständischen Unternehmen der Branche. Denn ihre Interessen werden nachrangig behandelt, freuen kann sich die Kohlelobby, die Bestandsschutz erhält. Das Ausbautempo für Erneuerbare hingegen wird drastisch gedrosselt, nach Berechnungen des Forums Ökosoziale Marktwirtschaft um fast 40 Prozent im Vergleich zum Zeitraum 2005-2013.


Nicht alles falsch und doch zu kurz gedacht

Dabei gehen einige Vorschläge von Gabriel durchaus in die richtige Richtung. So stellt das Eckpunktepapier fest, dass Onshore-Wind und Photovoltaik in Zukunft das Rückgrat der Energieversorgung Deutschlands sein werden. Auch die Degression der Vergütung für neue Erneuerbare-Energien-Anlagen ist ein Punkt, der verhandelbar ist. An entscheidenden Stellen greifen Gabriels Reformvorschläge aber zu kurz oder gehen in die falsche Richtung: Zum einen verengt er die Debatte auf das EEG, ein Konzept für eine zukunftsfähige Energieerzeugung in Deutschland liefert er nicht. Substanzielle Aussagen zum Emissionshandel, zu Kapazitätsmechanismen und perspektivisch der Überführung in einen gemeinsamen preisgesteuerten Energiemarkt fehlen. Ebenso vermisst man Ausführungen zur Reduzierung des fossilen Kraftwerksparks mit seinen existierenden Überkapazitäten bei gleichzeitig zunehmenden Stromexport, insbesondere bei der Kohle. Dem hohen Potenzial von Energieeffizienz und -einsparung trägt Gabriel bislang keine Rechnung; hier bräuchte es dringend politische Maßnahmen - zumal die Energieeffizienz-Richtlinie der EU bis Sommer dieses Jahres umgesetzt werden muss. Eine aktuelle DIW-Studie zeigt die Wachstumschancen bei höheren Investitionen in Gebäudesanierung und Energieeffizienz. Fazit: Grün ist, was Arbeit schafft. Ziel der EEG-Eckpunkte ist hingegen: Die Erneuerbaren werden ausgebremst. Ihr Anteil an der Stromversorgung soll bis 2025 auf 40 bis maximal 45 Prozent steigen und auf 55 bis maximal 60 Prozent bis 2035. Damit fällt Gabriel mit diesem Konzept hinter die Ziele der abgewählten schwarz-gelben Koalition zurück - und das zu einem Zeitpunkt, zu dem Strom aus Wind und Sonne so billig ist wie nie.


Kostensenkung mit Gabriels Vorschlägen nicht in Sicht

Beim Thema Strompreis muss man der Kohle- und Atomlobby leider ein großes Kompliment machen - sie hat es tatsächlich geschafft, die Energiedebatte sehr stark am Thema Kosten aufzuziehen. Und der Öffentlichkeit einzureden, dass die Erneuerbaren zu teuer sind. Das Gegenteil ist der Fall: Inzwischen ist Windenergie an Land oft die preiswerteste Form der Stromerzeugung, wie eine Studie des Fraunhofer-Instituts in Freiburg im November belegt. Ein 2013 neu gebautes Windrad an einem guten Standort, z.B. an den deutschen Küsten, kann Strom für 4,5 Cent pro Kilowattstunde liefern und kann damit ohne weiteres mit Stein- und Braunkohle konkurrieren. Bei letzteren sind die externen Kostenmit ihren massiven Umwelt- und Klimaschäden nicht eingepreist. Die Industrie profitiert ohnehin bereits doppelt, durch überbordende Ausnahmeregelungen bei der EEG-Umlage Höhe von 6 Mrd. Euro jährlich und drastisch gesunkene Börsenstrompreise in Folge des Booms der Erneuerbaren.


„Eine Deckelung von Windenergie an Land ist volkswirtschaftlich unsinnig"

Torsten Albig, SPD-Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, hat mit seiner Kritik an Gabriels Eckpunkte-Papier vollkommen Recht. Eine Deckelung der jetzt schon kostengünstigsten Form der Energieerzeugung - Windenergie an Land -, ist volkswirtschaftlich absolut unsinnig. Das macht Energie unnötigerweise teurer - nicht billiger. Gabriel erweist den VerbraucherInnen - auch denen aus der Industrie - damit langfristig einen Bärendienst. Zum Schaden oft strukturschwacher Regionen, die von den Erneuerbaren profitieren. Bayern unterstützt diese Anti-Windkraft-Politik bereits mit überzogenen Abstandsregelungen.

Auch aus anderen Bundesländern kommt massive Kritik an Gabriels Reform-Plänen. Deren Skepsis ist mehr als berechtigt, da diese - im Gegensatz zu Gabriel - das ökologische wie ökonomische Potenzial der Energiewende längst erkannt haben und sich ambitionierte Ziele für den Ausbau der Erneuerbaren gesetzt haben. Für eine rasche und erfolgreiche Reform der gesamtdeutschen Energiepolitik müssen die Länder unbedingt beteiligt werden. Mit ihrem Vorschlag einer Energiewendeagenda 2020 ist die grüne Bundestagsfraktion gemeinsam mit den sieben grün mitregierten Landesregierungen bereits auf Gabriel zugegangen.


Importabhängigkeit verringern - Hin zur dezentralen Eigenproduktion

Der Ausbau der Erneuerbaren reduziert langfristig unsere Importabhängigkeit bei Primärenergieträgern deutlich. Diese Argumentation spielt in den Überlegungen des Wirtschaftsministers keine Rolle. Auch wenn die besonders klimaschädliche Braunkohle hierzulande kräftig gefördert wird - Steinkohle kaufen wir auf dem Weltmarkt ein. Umsonst gibt es Steinkohle auch jetzt nicht, angesichts des Energiehungers gerade in China müssen wir auch bei Steinkohle mit steigenden Preisen rechnen. Das Fracking-Wunder in den USA bleibt nach den jüngsten Meldungen aus. Wind und Sonne hingegen sind umsonst - den Anfangsinvestitionen bei den Erneuerbaren stehen niedrige Betriebskosten gegenüber. Investieren wir heute in Erneuerbare, kostet das natürlich Geld - langfristig gesehen senken die Erneuerbaren aber die Energiekosten sogar. China hingegen hat dies längst erkannt und hat aktuell das Ausbauziel 2014 für die Photovoltaik auf 14 GW erhöht, fast doppelt soviel wie der geplante Zubau innerhalb der EU.


Rückschritte beim Klimaschutz - Energiewende endlich europäisch denken!

Erstmals seit 1990 steigen die CO2-Emissionen in Deutschland wieder an, 2013 zum zweiten Mal in Folge, und das obwohl die Erneuerbaren bereits 25 Prozent zur Stromerzeugung beitragen. Zu verdanken haben wir das dem Boom der Kohle, allen voran der besonders klimaschädlichen Braunkohle. Die Braunkohleverstromung kletterte 2013 auf den höchsten Wert (ca. 162 Mrd. Kilowattstunden) seit der Wiedervereinigung. Diesen Aspekt erwähnt Gabriel mit keiner Silbe. Dabei müsste diesem Trend dringendst entgegengewirkt werden. Hierfür muss sich Deutschland auf EU-Ebene für einen funktionierenden CO2-Zertifikate-Handel einsetzen, um hier einen wirkungsvollen Preis für Klimaschäden zu erreichen.

Anstatt Vorschläge für einen Abbau der Industrieausnahmen bei der EEG-Umlage zu machen, wirft Gabriel der EU vor, sich mit dem Beihilfeverfahren in die nationale Politik einzumischen. Dabei bräuchte es eine wesentlich bessere Kooperation und Abstimmung auf EU-Ebene zur Energiepolitik, da die Energiewende im europäischen Verbund zügiger und kostengünstiger zu realisieren ist. Zudem sollte Gabriel die derzeitig laufenden Verhandlungen für ein Freihandelsabkommen zwischen USA und der EU, das sogenannte TTIP, dazu nutzen, im Sinne echten Wettbewerbs einen vollständigen Ausstieg aus der Milliarden schweren Subventionierung fossiler Energieträger auf beiden Seiten des Atlantiks zu fordern.


Kohle vor Gas?

Gabriels Eckpunkte vernachlässigen die Stromerzeugung aus Gas. Erhebliche Erzeugungskapazitäten auf Erdgasbasis wurden in den letzten Jahren in Deutschland dazu gebaut. Unter den aktuellen Marktbedingungen - insbesondere dem extrem niedrigen Preis für CO2-Zertifkate, lassen sich Gaskraftwerke oft nicht mehr wirtschaftlich betreiben. Dabei ist Gas nicht nur deutlich klimafreundlicher als Kohle, sondern auch deutlich flexibler einsetzbar als schwerfällige Kohle- oder Atomkraftwerke und somit eigentlich die ideale Ergänzung zur Stromerzeugung aus Erneuerbaren. Auch hier verliert der Klimaschutz - und die Kraftwerksbetreiber, darunter viele Stadtwerke, die dem Ruf nach dem Bau von flexiblen und klimafreundlichen Gaskraftwerken aus der Politik in den letzten Jahren nachgegangen sind.


Wer den Kohleausstieg nicht plant, meint es mit der Energiewende nicht ernst

Auf dem Handelsblatt Energieforum betonte Sigmar Gabriel diese Woche vor VertreterInnen der Energiewirtschaft, dass ein gleichzeitiger Ausstieg aus Atomkraft und Kohle nicht möglich sei. Mal ganz abgesehen davon, dass aktuell noch neun Atomkraftwerke mit einer Gesamtkapazität von rund 13 Gigawatt am Netz sind und die letzten Atommeiler erst 2022 abgeschaltet werden, fordert auch niemand ernsthaft die sofortige Abschaltung aller Kohlekraftwerke. Was wir aber fordern, ist ein klarer Pfad in Richtung einer postfossilen Stromversorgung. Und das heißt auch, dass Kohle an Bedeutung verliert, nicht gewinnt.

Die deutsche Stromversorgung lässt sich vollständig auf erneuerbare Energien umstellen - und das ist mit bereits heute am Markt verfügbarer Technik möglich. Das zeigt nicht nur eine Studie des Umweltbundesamtes (UBA) laut derer 100 Prozent Strom aus erneuerbaren Energiequellen nicht nur machbar, sondern ökonomisch erfolgversprechend sind. Und damit ganz nebenbei DIE zentrale Hoffnung für den weltweiten Klimaschutz sind. Wenn wir es als viertgrößte Industrienation der Welt vormachen, werden viele es uns nachmachen.


Einseitige Politik: Die Bundesregierung denkt Energiewende nur im Industriemaßstab - gegen die Bürgerinnen und Bürger

Vorangetrieben und realisiert wurde die Energiewende bislang vor allem durch Bürgerhand. Der Beitrag der BürgerInnen zur Energiewende ist fast viermal so groß wie der der Energieversorger, wie eine Studie der Leuphana Universität Lüneburg zeigt. Erneuerbare Energie ist Bürgerenergie: nicht nur knapp 50 Prozent der Solarleistung, sondern auch die Hälfte der installierten Windenergie und ein großer Teil der Bioenergie ist in Bürgerhand. Das bedroht das Geschäftsmodell von EON und Co. Die großen Stromkonzerne haben zu spät und zu zaghaft in die Erneuerbaren investiert - und zu lange auf den Neubau von Kohlekraftwerken gesetzt und dabei Milliarden in den Sand gesetzt.

Über 40 neue Kohlekraftwerke wurden in Deutschland geplant, Dutzende in Betrieb genommen. Auch wenn die Stromlobby gerne das Schreckensszenario Stromausfall an die Wand malt - das Gegenteil ist der Fall, wie die regelmäßigen Meldungen über deutsche Rekorde beim Stromexport belegen. Die Stromkonzerne legen sich natürlich ins Zeug, ihre (Fehl-)investitionen vor der unliebsamen Konkurrenz durch die Erneuerbaren zu schützen. Machen wir uns nichts vor: Der Machtkampf dauert weiter an. In Gabriel, der Kohlelobby der NRW-SPD und der schwarz-roten Regierung scheint das Strom-Oligopol jetzt einen Verbündeten gegen die Konkurrenz der Bürgerenergie gefunden zu haben. Rund 6 Prozent der Deutschen haben in den vergangenen Jahren in Erneuerbare Energien investiert und sind damit in Konkurrenz zu EON, RWE, Vattenfall und EnBW gegangen. Gabriel schlägt sich jetzt auf die Seite der letzteren.

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