Quantcast
Channel: Germany
Viewing all articles
Browse latest Browse all 18967

Zwischen den Feuern, Kapitel 2: Verliebt (Teil 1)

$
0
0
Aus Kapitel 2 Verliebt, (Teil 1)

Braunschweig, den 20. 1. 62, Lieber Reinhard!
Jetzt bin ich schon fünf Wochen hier, da muss ich mich doch einmal melden. So langsam merke ich, wie schön die Zeit mit Euch in Berlin war! Nur Klampfe spielen ist eine gute Pille gegen so ein blödes Gefühl, wenn einem die Gedanken weglaufen. Leider gibt es hier gar keine Pfadfinderinnen. ...
Und nun viele Grüße, Stephanie


Tagebuch Reinhard 22. 1. 62
Ich freue mich mächtig, Stephanie Kroll hat mir geschrieben und ich werde ihr bald antworten. Jetzt muss ich ganz schnell der Kontaktperson darüber berichten, ehe die Stasi das von anderer Seite erfährt und ich als unzuverlässig eingestuft werde. Diese Observiererei kotzt mich ganz schön an.


An Abteilung XVII/1/2 des MfS, 23.1.1962

Betr. IM Schlosser
Bericht

IM informierte mich heute über das Schreiben einer ihm bekannten Pfadfinderin, die im Dezember mit ihren Eltern nach Braunschweig umgezogen ist. Ihr Vater Prof. Kroll, war bisher Dozent an der TU in Westberlin und ist jetzt nach Braunschweig berufen worden. IM informierte mich, dass er an die Tochter des Prof. Kroll geschrieben und vorgeschlagen habe, sie Ostern zu besuchen. Ich habe ihm aufgetragen, den Kontakt möglichst zu erweitern, um Informationen über die Tätigkeit des Vaters zu erhalten.
Schnecke.


Zehlendorf, den 4.2. 62, Liebe Stephanie!
ich habe mich mächtig über Deinen Brief gefreut. Du fehlst mir sehr bei unseren Tanzabenden und mir wird jetzt erst klar, wie gut wir da immer harmoniert haben. Wir hatten mit einer Führergruppe eine tolle Zeit im Bayerischen Wald und sind auch viel Ski gelaufen. ... Ich überlege, ob ich Dich über Ostern mal besuche, aber das ist ja noch eine Weile hin.
Sei herzlich gegrüßt, Dein Reinhard


Tagebuch Stephanie 14. 2. 62
Reinhard hat sehr nett auf meinen Brief geantwortet, dass ich ihm bei den Tanzstunden fehle und er mich vielleicht Ostern besuchen will. Ich würde ihm gerne gleich antworten, aber zunächst muss ich hier in der Uni den Anschluss gewinnen. Schreiben will ich ihm auf jeden Fall, denn auch ich habe ihn bei den Tanzstunden gern gewonnen.

Tagebuch Reinhard 7. 3. 62
Der zweite Brief von Stephanie ist viel persönlicher als der erste, ja fast liebevoll, zum ersten Mal fühle ich mich von einem Menschen außerhalb der CP verstanden und angenommen. Jetzt freue ich mich darauf, ihr zu Ostern vielleicht etwas näher zu kommen. Mit einem Mal wird mir klar, dass sie mich schon beim Tanzen durchaus auch als Mädchen gereizt hat, ich habe es nur überhaupt nicht gemerkt. Vielleicht wird ja eine Freundschaft daraus, irgendwann muss ich mich ja doch mal näher mit den weiblichen Wesen beschäftigen.


---

Tagebuch Stephanie 21. 4. 62
Mir ist ganz anders. Bei einem wunderschönen Tanzabend hat Reinhard mir immer wieder tief in die Augen geschaut und auf dem Heimweg fühlte ich, wie eine liebevolle Strahlung von ihm mich umfing. Doch er traute sich wohl nicht, etwas über seine Gefühle zu sagen, bis er mich vor der Tür zum Studentenheim küsste. Zwar war es nur ein leichter Schmatz, aber ich antwortete ihm gerne und habe das Gefühl, er liebt mich. Mir geht es kaum anders, ich habe ihn doch schon in Zehlendorf heimlich geliebt. Noch weiß ich nicht, wie es weiter gehen wird, aber es könnte sehr schön werden zwischen uns.

Tagebuch Reinhard Ostersonntag, 22. 4. 62
Nach dem Mittagessen bat Professor Kroll mich in sein Arbeitszimmer und fragte ein bisschen nach meiner Lebensplanung, er wollte wohl wissen, mit wem seine Tochter sich einlässt. Jetzt sah ich die Gelegenheit, meinen Auftrag zu erfüllen und fragte ihn nach seiner Tätigkeit. Er gab mir einen umfassenden Überblick über die Geschichte der Raumforschung. Da die Bundesrepublik die Forschungen der NASA durch eigene Aktivitäten unterstützen will, beauftragte das Bildungsministerium ihn mit dem Aufbau des geheimen Institut für Weltraumforschung in Braunschweig, an dem er in enger Zusammenarbeit mit der NASA grundsätzliche Probleme der Schwerkraft im Orbit erforscht. Ich bemühte mich, das Wichtigste zu merken.

Tagebuch Stephanie Ostersonntag 22. 4. 62
Nun ist es passiert. Nach dem Gespräch mit Vati hatte Reinhard endlich Zeit für mich, wir gingen in mein Zimmer. Als wir nebeneinander auf der Couch saßen und er mich liebevoll anblickte, hatte ich das Gefühl, dass er mich jetzt richtig küssen wollte, sich aber nicht traute. Ich hatte ja auch Lust dazu und strich ihm mit dem Zeigefinger über den Mund, das begriff er sofort! Er presste die Lippen auf meine und ohne dass wir es gelernt hatten, spielten unsere Zungen miteinander, wobei ich ihn innig umarmte. Lange und immer wilder wiederholten wir dieses wundervolle Spiel und waren uns einig, nie vorher so glücklich gewesen zu sein. Erst Muttis Kaffeeruf weckte uns aus unserem Rausch.

Tagebuch Reinhard Ostermontag, 23. 4.62
Wie ein Stachel drückt mich der Stasiauftrag. Ich kann doch nicht das Mädchen ausspionieren, das ich liebe, und auch nicht ihren Vater. Was soll ich tun? Ich überlegte hin und her schlief ziemlich verzweifelt erst spät ein. Als ich erwachte, wusste ich, dass ich die Arbeit für die Stasi beenden werde, ich weiß nur noch nicht, wann und wie. Vielleicht kann Stephanies Vater mir dabei helfen, doch ich will nicht am letzten Tag das Mädchen, das ich liebe, mit dieser schlimmen Information überfallen, sondern bis zum nächsten Besuch warten. Hoffentlich merkt sie mir meine Verzweiflung nicht an.

Tagebuch Stephanie 23. 4.
Reinhard ist ein Esel, aber ein ganz lieber. Er kam heute bedrückt zum Frühstück und meinte, er dürfe doch als Pfadfinder kein Mädchen lieben. Da habe ich ihm tüchtig den Kopf gewaschen und gesagt, der Bund sei doch kein Mönchsorden, sondern eine Gemeinschaft junger Menschen, die mit beiden Beinen im Leben stehen müssen, und dazu gehört auch die Liebe. Nach seinen heißen Abschiedsküssen glaube ich, dass er es begriffen hat. Ich bin jedenfalls sehr glücklich über diese Entwicklung, die mich wie eine Sturmflut überfallen hat.


An Abteilung XVII/1/2 des MfS, 2.5.1962

Betr. IM Schlosser
Bericht

IM berichtete über seinen Besuch in Braunschweig. In einem Gespräch mit Prof. Kroll hat er einiges über dessen Arbeit heraus bekommen, allerdings nur allgemein bekannte historische Ereignisse der Raumfahrt. Ich habe ihm gesagt, beim nächsten Besuch solle er sich anstrengen, mehr zu erfahren. Er wird erst Pfingsten wieder nach Braunschweig fahren.
Schnecke.





2014-11-08-CovervorneStasineuklein.jpg
© Copyright 2014 Ernst-Günther Tietze Hamburg



Der Roman „Zwischen den Feuern" beschreibt auf 154 Seiten die üblen Methoden der Stasi in der Bundesrepublik und Westberlin. Er wird gedruckt bei epubli und kann im Internet und in jeder Buchhandlung bestellt werden:
Als Taschenbuch für 14,95 Euro mit ISBN-Nr. 978-3-8442-8221-4
Als e-Book für 5,49 Euro mit ISBN-Nr. 978-3-7375-0496-6
Das vorliegende Kapitel 1 umfasst im Buch 25 Seiten. Weitere Ausschnitte aus diesem und den folgenden Kapiteln des Romans werden nacheinander an dieser Stelle vorgestellt.

Viewing all articles
Browse latest Browse all 18967

Trending Articles



<script src="https://jsc.adskeeper.com/r/s/rssing.com.1596347.js" async> </script>