Ich sitze am geöffneten Küchenfenster, esse Minestrone und trinke italienischen Rotwein aus einem dieser Gläser, die so tun als seien sie alt und wertvoll. Über den Häusern gegenüber hat der Himmel gerade jene herrliche tiefblaue Farbe, die er nur in den zwanzig Minuten hat, bevor die Nacht sich schwarz und samtig über die Stadt legt. (Ich habe nie abgestritten, dass ich ein wenig zum Pathos neige, okay?)
In meinem Spotify-Account läuft Musik von den Dead Lovers. Es geht mir gut. Ich habe einen Job, der mir Spaß macht und hatte noch nie Probleme meine Miete rechtzeitig zu zahlen. Ich besitze mehr definitiv mehr Paar Schuhe als ich notwendigerweise bräuchte und fahre diesen Winter in den Urlaub nach Hawaii.
Ich mag mein Leben. Aber ich mache mir Sorgen. Ernsthaft. Die letzte große Krise in Deutschland ist erst ein paar Jahre her. Über 276.000 junge Leute in Deutschland haben keinen Job.
In Spanien und Griechenland ist mehr als die Hälfte der jungen Menschen arbeitslos
Das ist nichts im Vergleich zu anderen Staaten in der EU - den Ländern, die teilweise direkte Nachbarn von uns sind und in denen wir unsere Ferien verbringen. Italien hatte im Juni eine Jugendarbeitslosigkeit von 43,7 Prozent. In Spanien (53,5 Prozent) und Griechenland (56,3 Prozent) haben mehr als die Hälfte der - auch hochqualifizierten - jungen Leute in meinem Alter keine Arbeit.
In ganz Europa gehen die Menschen auf die Straße, weil sie ihre Existenz massiv bedroht sehen.
In Ungarn bestimmt ein wahnsinniger Diktator über das Wohlergehen der Bürger, der alle zum schweigen bringt, die nicht seiner rechtsradikalen Doktrin folgen. Und die EU-Länder können entweder nichts gegen seine antidemokratische Gewaltherrschaft unternehmen oder sie wollen nicht. Beides ist überaus bedenklich.
Frankreich droht die Staatspleite
Frankreich hat sich inzwischen so weit in Schulden gestürzt, dass dem Land ein Staatsbankrott droht, der noch weit schlimmere Folgen für die ganze EU haben könnte als die Griechenland-Pleite. Die Franzosen haben jegliches Vertrauen in ihre Regierung verloren. Laut einer Umfrage der IFOP halten 80 Prozent Hollande für unfähig und haben den Glauben aufgegeben, dass er die wirtschaftlichen Probleme des Landes lösen kann.
Aus Frust wenden sich viele dem rechten Front National um Marine Le Pen zu und fallen auf die ausländerfeindlichen, EU-kritischen Parolen herein. Eine aktuelle Umfrage hat ergeben, dass Le Pen nicht nur in den ländlichen Gebieten Zuspruch findet, sondern auch in den Städten. Wären jetzt Präsidentschaftswahlen, hätte sie eine reelle Chance. Nach den derzeitigen Umfragewerten könnte Marine Le Pen in der ersten Wahlrunde 2017 sogar als Siegerin hervorgehen. Insgesamt 26 Prozent der Franzosen würden für sie stimmen.
In Griechenland hat die Neonazi-Partei Goldene Morgenröte im Zuge der Finanzkrise neuen gefährlichen Aufwind bekommen. 2012 erzielte sie fast 7 Prozent der Stimmen und zog mit 18 Sitzen ins Parlament ein.
Die EU riegelt ihre Grenzen ab, damit auch ja nicht zu viele Flüchtlinge kommen - Menschen, die in ihren Ländern nicht bleiben können, weil sie dort als Regimegegner hingerichtet oder im Krieg umkommen würden. Vor Lampedusa ertrinken fast täglich Frauen, Männer und Kinder, die sich auf die gefährliche Reise übers Mittelmeer gemacht haben. In der Hoffnung auf ein besseres Leben in Europa, das sie nie zu Gesicht bekommen.
Ich fühle mich machtlos
Wir haben es gut, hier in Deutschland. Und doch: Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich fühle mich machtlos. Wenn schon die EU als starkes Bündnis nichts ausrichten kann gegen rechte, zerstörerische Mächte, gegen die Armut ihrer eigenen Jugend, gegen kurzsichtigen Hass auf alles Fremde von außen - wie soll ich als Einzelne das dann tun?
Wer mir jetzt einen erhobenen Zeigefinger unterstellt, dem möchte ich entgegnen: Ich spreche lediglich aus, was mir ernsthafte Sorgen bereitet - auch an Abenden wie diesen. Mit Rotwein und Minestrone und dem Wissen, dass es mir in den nächsten Jahren wahrscheinlich nicht so ergehen wird wie den 53,5 Prozent arbeitslosen jungen Spaniern, die teils noch immer bei ihren Eltern wohnen und nichts lieber täten als ihre Fähigkeiten, die sie in der Ausbildung gelernt haben, unter Beweis zu stellen.
Ich habe auf vieles, was in meinem Kopf herumgeistert, keine Antworten. Das ist das, was mir am meisten Sorgen macht. Weil ich mir vorstellen kann, dass es sehr vielen so geht. Keiner kann und will sich ausmalen, was geschieht, wenn Frankreich insolvent ist, so wie Griechenland vor zwei Jahren. Griechenland konnten die EU-Länder noch abfedern. Mit Frankreich wird das nicht möglich sein.
Ich sag's ja nur. Ich bin besorgt. Nicht um mich selbst, das ist ja wohl klar (und das ist keineswegs heroisch-selbstlos gemeint), sondern um das Konzept Europa. Über die Lethargie der meisten europäischen Politiker und ihre mangelnde Kraft, sich gegen Rechts zu behaupten.
So. Und jetzt mach ich das Fenster auch zu, denn so warm ist es gar nicht mehr. Obwohl wir August haben, verdammt nochmal.
In meinem Spotify-Account läuft Musik von den Dead Lovers. Es geht mir gut. Ich habe einen Job, der mir Spaß macht und hatte noch nie Probleme meine Miete rechtzeitig zu zahlen. Ich besitze mehr definitiv mehr Paar Schuhe als ich notwendigerweise bräuchte und fahre diesen Winter in den Urlaub nach Hawaii.
Ich mag mein Leben. Aber ich mache mir Sorgen. Ernsthaft. Die letzte große Krise in Deutschland ist erst ein paar Jahre her. Über 276.000 junge Leute in Deutschland haben keinen Job.
In Spanien und Griechenland ist mehr als die Hälfte der jungen Menschen arbeitslos
Das ist nichts im Vergleich zu anderen Staaten in der EU - den Ländern, die teilweise direkte Nachbarn von uns sind und in denen wir unsere Ferien verbringen. Italien hatte im Juni eine Jugendarbeitslosigkeit von 43,7 Prozent. In Spanien (53,5 Prozent) und Griechenland (56,3 Prozent) haben mehr als die Hälfte der - auch hochqualifizierten - jungen Leute in meinem Alter keine Arbeit.
In ganz Europa gehen die Menschen auf die Straße, weil sie ihre Existenz massiv bedroht sehen.
In Ungarn bestimmt ein wahnsinniger Diktator über das Wohlergehen der Bürger, der alle zum schweigen bringt, die nicht seiner rechtsradikalen Doktrin folgen. Und die EU-Länder können entweder nichts gegen seine antidemokratische Gewaltherrschaft unternehmen oder sie wollen nicht. Beides ist überaus bedenklich.
Frankreich droht die Staatspleite
Frankreich hat sich inzwischen so weit in Schulden gestürzt, dass dem Land ein Staatsbankrott droht, der noch weit schlimmere Folgen für die ganze EU haben könnte als die Griechenland-Pleite. Die Franzosen haben jegliches Vertrauen in ihre Regierung verloren. Laut einer Umfrage der IFOP halten 80 Prozent Hollande für unfähig und haben den Glauben aufgegeben, dass er die wirtschaftlichen Probleme des Landes lösen kann.
Aus Frust wenden sich viele dem rechten Front National um Marine Le Pen zu und fallen auf die ausländerfeindlichen, EU-kritischen Parolen herein. Eine aktuelle Umfrage hat ergeben, dass Le Pen nicht nur in den ländlichen Gebieten Zuspruch findet, sondern auch in den Städten. Wären jetzt Präsidentschaftswahlen, hätte sie eine reelle Chance. Nach den derzeitigen Umfragewerten könnte Marine Le Pen in der ersten Wahlrunde 2017 sogar als Siegerin hervorgehen. Insgesamt 26 Prozent der Franzosen würden für sie stimmen.
In Griechenland hat die Neonazi-Partei Goldene Morgenröte im Zuge der Finanzkrise neuen gefährlichen Aufwind bekommen. 2012 erzielte sie fast 7 Prozent der Stimmen und zog mit 18 Sitzen ins Parlament ein.
Die EU riegelt ihre Grenzen ab, damit auch ja nicht zu viele Flüchtlinge kommen - Menschen, die in ihren Ländern nicht bleiben können, weil sie dort als Regimegegner hingerichtet oder im Krieg umkommen würden. Vor Lampedusa ertrinken fast täglich Frauen, Männer und Kinder, die sich auf die gefährliche Reise übers Mittelmeer gemacht haben. In der Hoffnung auf ein besseres Leben in Europa, das sie nie zu Gesicht bekommen.
Ich fühle mich machtlos
Wir haben es gut, hier in Deutschland. Und doch: Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich fühle mich machtlos. Wenn schon die EU als starkes Bündnis nichts ausrichten kann gegen rechte, zerstörerische Mächte, gegen die Armut ihrer eigenen Jugend, gegen kurzsichtigen Hass auf alles Fremde von außen - wie soll ich als Einzelne das dann tun?
Wer mir jetzt einen erhobenen Zeigefinger unterstellt, dem möchte ich entgegnen: Ich spreche lediglich aus, was mir ernsthafte Sorgen bereitet - auch an Abenden wie diesen. Mit Rotwein und Minestrone und dem Wissen, dass es mir in den nächsten Jahren wahrscheinlich nicht so ergehen wird wie den 53,5 Prozent arbeitslosen jungen Spaniern, die teils noch immer bei ihren Eltern wohnen und nichts lieber täten als ihre Fähigkeiten, die sie in der Ausbildung gelernt haben, unter Beweis zu stellen.
Ich habe auf vieles, was in meinem Kopf herumgeistert, keine Antworten. Das ist das, was mir am meisten Sorgen macht. Weil ich mir vorstellen kann, dass es sehr vielen so geht. Keiner kann und will sich ausmalen, was geschieht, wenn Frankreich insolvent ist, so wie Griechenland vor zwei Jahren. Griechenland konnten die EU-Länder noch abfedern. Mit Frankreich wird das nicht möglich sein.
Ich sag's ja nur. Ich bin besorgt. Nicht um mich selbst, das ist ja wohl klar (und das ist keineswegs heroisch-selbstlos gemeint), sondern um das Konzept Europa. Über die Lethargie der meisten europäischen Politiker und ihre mangelnde Kraft, sich gegen Rechts zu behaupten.
So. Und jetzt mach ich das Fenster auch zu, denn so warm ist es gar nicht mehr. Obwohl wir August haben, verdammt nochmal.