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"Du bist nicht meine Mama!" Darf man eigentlich fremde Kinder maßregeln?

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"Und jetzt Essen! Aber nur Toastbrot in weiß und OHNE Rand."

"Also ich hätte noch Zwieback. Wie wäre das denn, Paul....?"

"Menno, ihr habt immer nur Sachen, die ich nicht mag."

Ein "playdate" bei uns zuhause. Mit Paul. "Toastbrot-Paul" ist der Busenfreund meines Sohnes Sebastian und eine Herausforderung. Er hat weder Manieren drauf noch respektiert er meine Autorität. Aber er ist nun mal der Freund meines Kindes.

Meine Mutter war nie besonders gefällig meinen Freundinnen und Freunden gegenüber. Wenn wir irgend etwas Verbotenes taten, wurde die Stimme lauter und gerne auch mal die Freundin nach Hause geschickt. Meine Oma nahm auch kein Blatt vor den Mund. "Frau Turrian, Sie Kinderschreck, Sie jagen alle Kinder weg" war ein beliebter und bekannter Reim im Koblenz der 1950er Jahre.

Fremde Kinder sind da und der Hausdrache kommt raus

Dieses Hausdrachen-Erbe wollte ich eigentlich nicht antreten. Die Freunde meiner Kinder sollen sich willkommen fühlen. Ich will doch eine Mutter sein, die gesunde Snacks reicht und jeden Anflug der kindlichen Langeweile sofort mit pädagogisch wertvollen Beschäftigungen vertreibt. Eine coole, entspannte Mutter. Bei so einem playdate gibt es ja immer wieder Phasen der Langeweile. Zum Zeitvertreib werden dann meistens Süßigkeiten oder TV-Einheiten gefordert.

"Und jetzt Darth Vader", heisst dann oft die von Paul vorgetragene Anweisung. Bevor ich zur rettenden DVD und der Gummibärchentüte greife, versuche ich aber meistens, die Kinder kreativ abzulenken, was leider nicht immer gelingt.

"Paul, lass uns mal alle was Schönes malen", schlage ich vor.

Malen geht irgendwie immer. Die Kinder sind wenigstens für eine Stunde beschäftigt und Paul kann seine kreativen Ergebnisse später stolz seiner Mutter zeigen. Bei Pauls letztem Besuch ging leider alles schief. Ich hatte mich mit der "Gala" ins Schlafzimmer zurückgezogen, als ich plötzlich eine verräterische Stille bemerkte.

"Kinder, was macht Ihr denn so, spielt ihr schön?"

"Wir spielen Stempel, das macht voll Spaß!"

Stempel? Wir haben doch gar keine Stempel im Haus. Was bedeutet das wohl? Lieber mal nachschauen. Angekommen im Wohnzimmer, dann der Schock!

Alle Kinder inklusive meine dreijährige Tochter hatten sich die Handinnenflächen mit Filzstift angemalt und "stempelten" die Tischsets voll. Paul war schon einen Schritt weiter und beäugte interessiert unsere frisch gestrichene, cremefarbene Wand.

Bevor ich "Stop" rufen konnte, war Pauls Handabdruck in grasgrünem Filzstift auf unserer Wohnzimmerwand für immer verewigt. Mir riss die Geduldsschnur.

"Paul, was soll der Mist, zu Hause malst Du doch auch nicht die Wand an! Und außerdem kriege ich das noch nicht mal mit dem Zauberschwamm weg!"

Paul schaute mir frech ins Gesicht. Meine Autorität und auch meine hausfraulichen Probleme interessierten ihn überhaupt nicht.

"Du hast mir gar nichts zu sagen, du bist nicht die Inken!"

Diese Respektlosigkeit machte mich komplett wütend, die "1950er Hausfrau und Mutter" ging mit mir durch. Und "die Inken" will ich nun erst recht nicht sein.

"Für Dich immer noch "Sie", Paul!"

"Hä"?

"In meinem Haus gelten MEINE Regeln: keine Stempel an der Wand und gegessen wird, was auf den Tisch kommt."

"Das Haus gehört doch auch dem Papa vom Sebastian und nicht nur dir. Ist doch voll gelogen."

Mein Haus, meine Regeln

Zum Glück klingelte es in dem Moment. Inken war da und ich musste nicht mehr mit einem Achtjährigen die Eigentumsverhältnisse unseres Hauses erörtern. Bevor Pauls Mutter mit dem "TV oder nicht TV-Verhör" anfangen konnte, schleuderte ich ihr ins Gesicht:

"Ihr Sohn (Ich war ab jetzt "per Sie" mit ihr, hatte ich beschlossen) hat meine Wände angemalt, das krieg ich nieee wieder ab!"

"Du kannst den Paul gerne zurecht weisen, wenn Dir nicht gefällt, was er macht."

Nun war ich verwirrt. Jetzt ist es also politisch korrekt, die Freunde der Kinder zu massregeln? Vergebens wartete ich auf eine Sanktion des Paulschen Verhaltens, eine Entschuldigung kam auch nicht. Inken blieb tiefenentspannt.

Komisch eigentlich, denn ich selbst habe es gar nicht gerne, wenn meine Kinder von anderen kritisiert werden. Ich erinnere mich an eine Situation als mein Sohn circa drei Jahre alt war und ich mit meiner Freundin und deren gleichaltriger Tochter durch den Supermarkt ging. Sebastian spielte Autoscooter mit seinem Kinder-Einkaufswagen. Natürlich konnte ich ihn nicht davon abhalten und Marlene, die Tochter meiner Freundin, machte sofort begeistert mit.

"So ein Verhalten musst Du Dir gar nicht erst abgucken. Sebastian, lass den Quatsch!", sagte Marlenes Mutter. Ich reagierte verschnupft, fast beleidigt. Und auch irgendwie peinlich berührt, weil sich mein Sohn daneben benahm und ich ihn nicht davon abhalten konnte. Aber warum sollte sich Marlene nicht Sebastians Verhalten abgucken? Er ist doch so ein toller und wilder Junge! Mmpf. So was aber auch! In meinem trotzig-beleidigten Zustand bemerkte ich fast gar nicht, dass Sebastian mit dem Autoscooter-Spiel aufgehört hatte und artig mit Marlene hinter uns her lief. Ist das am Ende vielleicht doch recht wirkungsvoll, wenn eine andere Mutter die eigenen Kinder zurechtweist? Die Rolle als coolste und entspannteste Mutter bekomme ich sowieso nicht mehr.

Für mich steht fest: Meine Wände sind mir wichtiger als mein Image als Mama von Sebastian. Dafür übernehme freiwillig die Rolle als Hausdrache, was Paul durchaus schon zu Gute kam. Er isst übrigens jetzt auch Zwieback.

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