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Ein Löffelchen für Mama...? Warum ich meine Kinder nicht zum Essen zwinge.

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Wenn meine Kinder mit anderen Erwachsenen am Tisch sitzen oder wir im Restaurant essen, kommt es regelmäßig vor, dass ihr Essverhalten kommentiert wird: von "Ach komm, den letzten Haps schaffst du auch noch!" über: "Wenn du groß und stark werden willst, musst du aber noch ein bisschen mehr essen!" bis hin zu: "Das ist doch soooo lecker, wieso isst du das denn nicht?" - dem Einfallsreichtum der sich einmischenden Erwachsenen ist offenbar keine Grenze gesetzt.

Ich muss dazu sagen, dass meine Kinder ganz normal essen - wie Kinder eben essen (und ich rede nicht über Tischmanieren). Manche Dinge mögen sie, manche nicht. Sie bevorzugen kleine Portionen und schrecken je nach Phase davor zurück, Neues zu probieren. Ihre Vorlieben sind genauso undurchschaubar wie ihre Abneigungen. Und sie legen großen Wert auf Selbstbestimmung beim Essen. Wieso auch nicht?

Das Essverhalten von Kindern ist etwas, das nicht nur Eltern quasi von Geburt ihrer Kinder an zu bewegen scheint, denn bei allen Entscheidungen über die Ernährungsweise der Kinder sind wir Eltern plötzlich unerklärlicher Weise von Expert*innen umgeben, die nicht nur eine Meinung haben, sondern sich auch dazu aufgerufen fühlen, sie mitzuteilen. Laut mitzuteilen. Unmissverständlich mitzuteilen!

Dabei gehen Vorurteile mit Irrglauben Hand in Hand und das Pseudowissen über das richtige Essverhalten von Kindern wird schlimmstenfalls dafür eingesetzt, ihnen das Essen wirklich zu verleiden. Jegliches Essen, nicht nur diejenigen Speisen, die sie nicht mögen. Das fängt damit an, dass ein schreiender Säugling von Fremden mit "Es hat bestimmt Hunger!" kommentiert wird und hört nicht dabei auf, dass bei Kindergartenkindern über Mangelerscheinungen gefaselt und bei Schulkindern die angebliche Verwöhnung am Essenstisch angeprangert wird.

Dabei gibt es wirklich ein paar einfache Regeln für Erwachsene, wenn es um das Essverhalten von Kindern geht. Und damit wir uns alle ab und zu daran erinnern können, habe ich sie mal zusammen gefasst:

5 No-Gos im Umgang mit dem Essverhalten von Kindern


1. Die Invasion der Körperfresser: Du sagst du bist satt? Du irrst dich! Wirklich, Leute, stellt euch das doch mal für euch vor: ihr habt eine riesige Portion gegessen und fühlt euch, als ginge kein Blättchen mehr hinein. Ihr könnt nicht mehr, wenn ihr noch einen Happen esst, dann platzt ihr, das wisst ihr ganz genau Jetzt kommt aber jemand, den ihr liebt, den ihr gut kennt, dem ihr vertraut. Und der sagt euch, dass ihr euch täuscht. Ihr seid noch gar nicht satt, euer Körpergefühl ist falsch. Nein, ganz sicher, den einen Löffel schafft ihr noch, es war doch so lecker bis jetzt, hmmm?

Im Ernst? Genau so ist die Situation für Kinder, die am Tisch sitzen und sagen: "Ich kann nicht mehr!"-  und wir hören ihnen nicht zu. Wir sagen ihnen, dass das nicht sein kann, dass sie das doch noch aufessen sollen, das schaffen sie, ganz bestimmt. Wir reden ihnen ein, dass ihr Körpergefühl falsch ist, indem wir ihrem Signal "Ich kann nicht mehr!" keinen Glauben schenken. Und wenn wir das ganz konsequent durchziehen, erziehen wir unseren Kindern ein gesundes Gefühl für "satt" und "hungrig" ab. Warum?  Beim Essverhalten von Kindern gibt es diesbezüglich keinen Unterschied zu uns Erwachsenen. Wir hören doch auch auf, wenn wir satt sind - jedenfalls sollten wir das. Wir sind nicht im Körper unserer Kinder, nur sie selbst fühlen, ob sie genug haben oder nicht. Wie sollen sie einen guten Umgang mit ihrem Körper lernen, wenn wir, ihre Eltern/Großeltern/Erzieher*innen ihnen dabei ständig suggerieren, wir wüssten es besser als sie selbst? Ist das nicht eigentlich verrückt?

2. Die Moralkeule: Essen wird nicht weggeworfen, in Afrika verhungern die Kinder! Ja nun. Diese Art schlechtes Gewissen hat bei einem mir bekannten kleinen Mädchen im Alter von etwa sechs Jahren dazu geführt, dass sie, wenn sie Reste von ihrem Teller in den Mülleimer kippte, weil sie einfach nicht mehr konnte, jedes Mal gebetet hat. Sie hatte die Hoffnung, dass ihr dann irgendwo von irgendwem vergeben wird, dass jetzt wegen ihr die Kinder in Afrika verhungern - nur, weil sie nicht aufgegessen hatte. Ich meine, BITTE. Es ist schlimm, dass die Kinder in Afrika verhungern, aber das tun sie leider auch, wenn unsere Kinder ihre Teller leer essen. Auf die Frage des kleinen Mädchens, warum denn nicht die Reste zusammengepackt und nach Afrika geschickt würden, wussten die Eltern übrigens auch keine Antwort.

Natürlich müssen wir unseren Kindern Verantwortung beibringen und sie müssen irgendwie irgendwann lernen, sich nur immer so viel zu nehmen, wie sie ungefähr meinen, auch essen zu können. Aber sie mit solchen Vorwürfen zu belasten ist unsinnig und führt zu nichts, außer vielleicht zu schlechtem Gewissen, seltsamen Verhaltensmustern und möglicherweise gestörtem Verhältnis zu Nahrung an sich. Kinder in Afrika werden damit jedenfalls sicherlich nicht gerettet. Auch das müssten wir unseren Kindern ja dann irgendwann erklären: dass ihr Teller-Leeressen den Kindern in Afrika leider rein gar nichts gebracht hat. Dann lieber kontinuierlich darauf achten, dass sie sich kleinere Portionen nehmen, damit nicht so viel übrig bleibt. Und wenn das doch der Fall ist, waren die Kinder wahrscheinlich satt. Siehe oben!

3. Die Besserwisser: Doch, das schmeckt, ganz sicher! Kinder haben seltsame Essvorlieben. Meine neigen beispielsweise zu ausgedehnten Phasen von Mono-Ernährung, in denen sie sich von sehr ausgesuchten Nahrungsmitteln ernähren. Ich erinnere mich an eine üble Joghurt-Käsebrot-Apfel-nackteNudeln-Phase beim Lieblingsbub. Ja, das kann uns an unsere Grenzen bringen und strapaziert die Geduld und ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass mir nicht auch der Geduldsfaden gerne reißt, wenn am Tisch jedes Kind was anderes am Essen zu meckern hat. Aber ich habe mir ein dickes Fell zugelegt. Meine Antwort darauf ist höchstens noch: "Schade, dass ihr das nicht mögt - uns schmeckt's." Ich habe mir jedenfalls abgewöhnt, ihnen in den Ohren zu liegen, WIE LECKER das Essen doch sei, denn das hat überhaupt keinen nachhaltigen Effekt auf das Essverhalten von Kindern. Maximal würgen sie sich einen Bissen rein, mir zu Gefallen aber das führt gewiss nicht dazu, dass sie dann willig in meine Lobeshymnen für das ein oder andere Gericht einstimmen. Schon eher interessiert sie irgendwann, warum denn die Erwachsenen so verzückt das Gesicht verziehen und wollen dann mal probieren. Und wenn's dann nicht schmeckt, dann isses eben so. Mir schmeckt auch nicht alles. So what?

4. Competition is it: Schau, deine Schwester isst das doch auch! Ich habe solche Situationen mit meinen eigenen Kindern nie erlebt, aber im näheren Umfeld habe ich oft mit angesehen, wie wohlmeinende Verwandte bei größeren Anlässen angefangen haben, auf nicht-essende oder nicht-genug-essende oder das-Falsche-essende Kinder Druck auszuüben: "Schau, deine Cousine isst Salat und du isst nur Brötchen, dabei ist Salat so gesund! Schau, wie schön sie isst, da kannst du dir mal ein Beispiel nehmen!"

Stopp! Etwas zu essen, was man gerne mag, ist keine Leistung. Etwas zu essen, was man nicht mag, übrigens auch nicht. Es ergibt einfach überhaupt keinen Sinn, irgend etwas zu tun, nur weil jemand anderes es tut, obwohl es sich um etwas handelt, das einem selbst zuwider isst. Wie können wir unseren Kindern ernsthaft so etwas vorschlagen?

Eigentlich muss man das Ganze nur auf Erwachsene übertragen und schon merkt man, wie verrückt manche Dinge sind, die wir Kindern sagen: "Schau mal, dein Kollege isst auch die fettige Bulette zum Frühstück und du isst nur Müsli. Nimm dir mal ein Beispiel!" Öhhm, nja.

5. Ein Löffelchen für Mama... Du liebst mich, also iss für mich! Das alte Löffelspielchen, mit dem Babys ihr Brei früher gerne eingeflößt wurde (und wahrscheinlich vielerorts auch noch wird) lässt sich mühelos auf viele Alltagssituationen mit Kindern am Esstisch übertragen. Und es beeinflusst das Essverhalten von Kindern auf eine ungute Weise, denn nicht nur wird tatsächlich in die Kinder "hineingeschaufelt", während sie durch ein Spiel davon abgelenkt werden, was sie tatsächlich tun. Zusätzlich wird aber außerdem vermittelt, dass das Kind für einen anderen Menschen isst. Ist das nicht absurd? Ich finde ja. Später wird aus "Ein Löffelchen für Mama..." dann gerne "Aber ich hab mir so viel Mühe gegeben mit dem Essen, du könntest wenigstens probieren!" oder "Ich habe das nur für dich gemacht, iss es mir zuliebe!" Ich glaube, das kann man dann getrost in die Kategorie emotionale Erpressung einsortieren. Ein beleidigter Opa, der es persönlich nimmt, wenn die Enkel mal was nicht mögen oder eine Mama, die eine Flunsch zieht, weil ihre Kochkünste nicht gewürdigt werden, transportieren den Kindern so eine Art Botschaft wie: wenn du mich liebst, dann isst du das. Und wenn du es nicht magst, dann tu so als ob, weil sonst unsere Liebe füreinander in Frage gestellt wird. Wollen wir das wirklich?

Essen soll unseren Kindern Spaß machen, nicht als Druckmittel gegen sie verwendet werden. Es sollte etwas Schönes sein, zusammen am Tisch zu sitzen und eine Mahlzeit gemeinsam einzunehmen. Wenn diese Situation für Kinder aber mit Druck und Stress verknüpft ist, dann werden sie das Essen an sich auch nie genießen können. Wenn wir wollen, dass unsere Kinder lernen, Dinge zu probieren, Freude am Essen zu entwickeln, zu lernen, was Essen alles bedeutet außer dem vordergründigen Gefühl, satt zu werden davon, dann dürfen wir sie nicht zum Essen zwingen. Weder zu irrationalen Mengen, noch dazu, Dinge zu essen, die sie nicht mögen. Sie müssen uns auch beim Essen vertrauen können, wie in allen anderen Situationen in ihrem Leben. Und nur so nebenbei: auch für uns Erwachsene isst es sich entspannter in der Familie, wenn wir nicht ständig versuchen, unsere Vorstellungen darüber, wie das richtige Essverhalten von Kindern zu sein hat, um jeden Preis durchzusetzen.

Gestern gab es bei uns eine Bohnensuppe mit Kartoffeln, Kefir und Speck, ein altes Familienrezept, das ich schon als Kind geliebt habe, wie heutzutage meine Kinder. Nur mein Sohn hat seit Neuestem eine Abneigung gegen diese Suppe. Ich weiß nicht warum, aber ich muss es auch nicht verstehen, nur akzeptieren. Ich stelle mich jetzt nicht in die Küche und mache was extra für das Kind, das das aktuelle Essen nicht mag, aber etwas vom Vortag oder ein Brot können sie immer haben. Er bekam also gestern Reste vom Vortag, nämlich zwei Pellkartoffeln mit Kräuterquark. Als alle beim Essen saßen, sagte die Kleinste plötzlich: "Mama, warum darf er Kartoffeln mit Quark haben und muss keine Suppe essen?" Darauf der Sohn ganz knapp: "Weißte doch. Wir müssen nie was essen, was wir nicht mögen. Nur probieren, ab und zu. So ist das mit der Mama."

Ja, genau so ist das mit mir. Und ich finde es gut so, weil zumindest zu Hause meine Kinder nie gezwungen werden, gegen ihren Willen bestimmte Gerichte oder bestimmte Mengen von Nahrung zu sich zu nehmen. Ich glaube und hoffe, dass diese Sicherheit ihr Verhältnis zum Essen einigermaßen gesund hält, weil ich versuche, ihnen zu vermitteln, dass nur sie selbst diejenigen sind, die über ihren Körper entscheiden und in dem Fall darüber, was sie ihm zuführen.

Ich möchte, dass sie aufrechte Menschen werden, mit einem guten Gefühl für sich selbst. Sie sollen möglichst viel von dem, was sie tun aus freiem Willen tun und am liebsten mit Freude - das gilt auch für so grundlegende Bereiche wie ihr Essverhalten. Wer wenn nicht ich als ihre Mutter sollte meinen Kindern die Basis dafür schaffen?

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