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Einfach schön? Oder richtig wichtig? Wie Design unsere Gesellschaft bewegt.

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Als das Internet in den frühen 90ern nach und nach Teil unseres Alltags wurde, war ich als Design-Student an der Cranbrook Academy of Art in Michigan, USA gerade mit meinem Master-Abschluss beschäftigt. Keine Frage, dass mich diese gesellschaftliche Veränderung als Designer in ganz besonderem Maße interessierte. Also stellte ich dieses Thema in den Mittelpunkt meiner Master-Arbeit und setzte mich kritisch mit den Folgen auseinander, die das Internet bringen würde.

Meine These damals: Das Internet wird Lösungen für nahezu jedes Thema bieten, von Kommunikation bis Musik, lässt dabei aber die entsprechenden Produkte mehr und mehr verschwinden. Damals betrachtete ich es als die Aufgabe eines Designers, diese Produkte zu bewahren und zeitgemäß zu gestalten, in dem wir ihren Nutzen verbesserten, sie mit Emotionalität füllten und durch Weiterentwicklungen wichtiger denn je machten.

Mittlerweile sind viele dieser Produkte weitestgehend aus unserem Leben verschwunden: Um Musik zu hören brauchen wir Apps und keine CD-Player, Smartphones sind ein All-in-One-Wunderwerk, ersetzen nicht nur Kamera, Taschenrechner und Armbanduhr. Und dennoch halten viele Designer fest an einem romantischen Verständnis von Designhandwerk. Das zeigt sich alljährlich auf den einschlägigen Events: Gutes Design wird im Zyklus und Tempo neuer Mode-Kollektionen gefeiert - auf der Mailänder Möbelmesse, bei Design-Preisverleihungen, bei Festivals.

Doch mir geht dabei ein wichtiger Aspekt verloren: Wir müssen Design jenseits von Funktion und Formgebung zu allererst als Fragestellung betrachten und nicht als Problemlösung. Nur wenn Design konsequent die richtigen Fragen stellt, kann es einen Beitrag dazu leisten, neue Produkte und Dienstleistungen tatsächlich bedeutsam zu machen - bedeutsam für den Menschen und die Gesellschaft. Deshalb muss Design mit der Fragestellung beginnen - und nicht mit der Problemlösung.

Ein Beispiel, wo die Balance von Design und Kundennutzen mehr und mehr aus dem Gleichgewicht gerät, ist für mich die Automobilindustrie: Autodesigner können sich primär nicht nur mehr damit beschäftigen, die Form zu perfektionieren: Der Markt wandelt sich drastisch. Immer mehr junge Menschen, vor allem in urbanen Zentren, denken nicht mehr darüber nach, ein Auto zu kaufen. Ihr Bedarf an Mobilität wird verstärkt über Car Sharing-Anbieter gedeckt. Daraus ergeben sich völlig neue und spannende Aufgaben für Autodesigner, die über die Formgebung hinausgehen.

Viele Industrien sind an einem Punkt angekommen, an dem Differenzierung kaum mehr über eine Qualitätsverbesserung des Produkts möglich wird, und die Auswirkungen einer Innovation auf die Lebenserfahrung der Menschen marginal ist. Heute muss es darum gehen, ein Gespür für den Menschen - den Käufer - zu entwickeln. Hier liegt die Aufgabe eines Designers: Ist er wirklich in einem Unternehmen verankert und sieht er sich als Berater und Partner an der Seite der Entscheider, dann kann er wie kein anderer dabei helfen, den Blick über den Tellerrand des Ökonomischen hinaus zu werfen und ihn hin zu den Bedürfnissen und Wünschen der Menschen zu lenken.

Design Thinking ist elementar. Und das in vielen Bereichen: Produktdesign, Business Design, digitales Design, Kommunikationsdesign, Servicedesign - kaum eine Disziplin, in der sich Designer nicht wiederfinden. Sie sitzen an wichtigen Schnittstellen vieler Unternehmen. Dort agieren sie als Moderator von Arbeitsprozessen, bündeln die Denk- und Vorgehensweisen aller Beteiligten und übersetzen sie in neue Gestaltungsmöglichkeiten und entwickeln Lösungsvorschläge. In den Fokus Ihrer Arbeit stellen sie in allen Bereichen dasselbe: die menschlichen Bedürfnisse.

Damit sind Designer maßgeblich daran beteiligt, den Wandel der Gesellschaft mitzugestalten. Es ist unsere Aufgabe und Verantwortung, der wirtschaftlichen Perspektive eine menschliche, gesellschaftliche sowie ökologische gegenüberzustellen und alle Faktoren in Gleichklang zu bringen.

Keine Frage: Designer können neue Lösungen entwickeln, aber vielmehr als das stellen sie die wichtigen Fragen, aus denen sie bedeutsames Neues erwachsen lassen. Das gilt heute genauso wie schon in den frühen 90ern, als das Internet unseren Alltag für immer veränderte.

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