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Das Ende des Wachstums ist näher, als wir denken. Lernt das Schrumpfen zu lieben!

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Warnungen vor den Negativfolgen des Wachstums sind nicht gerade neu. Dass zu viele Menschen, die zu viel konsumieren, auf Kollisionskurs mit einem begrenzten Planeten gehen, haben wir unter anderem von Thomas Malthus, dem Club of Rome, der Umweltbewegung und zuletzt auch von Wolfgang Schäuble gehört, der sich für eine „Begrenzung des Wirtschaftswachstums" in den westlichen Ländern stark machte. Die „Erzeugung immer neuer Bedürfnisse in der Konsumgesellschaft", so der Finanzminister, führe zu Zuständen, „die für das menschliche Wohlergehen und sogar für die menschliche Überlebensfähigkeit bedrohlich sind".

So weit, so gut und weise. Allerdings lässt sich nicht behaupten, dass all diese Warnungen etwas Grundsätzliches bewirkt hätten. De facto bewegen wir uns in Sachen Rohstoffverbrauch und Treibhausgasemissionen an der Obergrenze dessen, was sich die Autoren der „Grenzen des Wachstums" oder der Weltklimarat IPCC einst in ihren dunkelsten Szenarien vorgestellt haben.

Auch die Weltbevölkerung wächst weiter - um die Rekordzahl von 85 Millionen Menschen pro Jahr. Und weil trotz alledem die ökologische Apokalypse ausgeblieben ist, weil obendrein auch noch der Wohlstand und die Lebenserwartung in nahezu allen Ländern der Welt gewachsen sind, fällt es schwer zu glauben, dass es die vermeintlichen Grenzen des Wachstums überhaupt gibt, beziehungsweise, dass sie sich nicht auch künftig immer wieder überwinden lassen. Könnten nicht Umwelt-, Nano-, Informations- und Gentechnik Erfindungen hervorbringen, die wir noch gar nicht kennen und die einer Menschheit von 10 oder 20 Millionen ein Auskommen in Wohlstand und Freiheit sichern? Könnte es nicht einfach immer weiter gehen mit dem Wachstum?

Vermutlich sind wir einem Ende des Wachstums bereits viel näher als wir denken. Denn der sich weltweit ausbreitende Wohlstand führt nicht nur zwangsläufig zu steigendem Rohstoff- und Naturverbrauch. Er hat auch einen unvermeidlichen Nebeneffekt: Er bewirkt überall, dass die Kinderzahlen sinken und sich das Bevölkerungswachstum abschwächt. In etwa 80 Ländern bekommen die Frauen heute im Mittel nicht mehr als 2,1 Kinder, das ist jener Wert, der für eine demografische Stabilität nötig wäre.

Über die Hälfte der Menschheit lebt bereits in Staaten, die aus eigener Kraft mittelfristig nicht mehr wachsen werden. Darunter sind nicht nur alle europäischen Länder, sondern auch die Bevölkerungsschwergewichte China und Brasilien und ein paar Überraschungskandidaten wie Iran, Türkei oder Vietnam. Gerade in den Schwellen- und meisten Entwicklungsländern sind die Kinderzahlen deutlich schneller gesunken, als sie es einst in den Industrienationen getan haben. Vielerorts bekommen die Frauen zwei, drei oder gar vier Kinder weniger als ihre Mütter. Weltweit hat sich die durchschnittliche Kinderzahl je Frau seit den 1960er Jahren von fünf auf 2,5 halbiert und der Trend zu kleineren Familien hält unvermindert an.

Wie aber geht es weiter mit der Weltbevölkerung? Einerseits wächst sie vorerst unvermindert. Aufgrund der noch immer hohen Kinderzahlen und der jungen Bevölkerung in den armen Ländern dürften in den nächsten Jahrzehnten noch einmal 2,5 Milliarden Menschen hinzukommen - mit allen problematischen Folgen für jene Staaten, die ein solches Wachstum wirtschaftlich kaum verkraften können. In Afrika haben etwa Mali, Nigeria oder Niger eine Verdreifachung bis Versechsfachung ihrer Bevölkerung zu erwarten. Diese Länder sind schon heute nicht in der Lage, ihre Bevölkerung mit dem Nötigsten zu versorgen, mit Nahrung und Trinkwasser, Schulen und Krankenhäusern, Lehrern und Ärzten.

Andererseits geht dem globalen Bevölkerungswachstum langsam, aber sicher der Dampf aus: Irgendwann in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts dürfte die Menschheit ihren Höhenflug beenden. Das liegt daran, dass sich immer mehr Länder auf einen Entwicklungspfad nach dem Vorbild der Industrienationen begeben: Fast überall auf der Welt steigen die Bildungswerte und Frauen erlangen mehr Rechte in der Gesellschaft. Frauen gehen dann vermehrt einer bezahlten Arbeit nach und werden unabhängiger von einem männlichen Familienoberhaupt.

Immer mehr Menschen ziehen vom Land in die Städte und steigen dort in die Mittelschicht auf. Jeder dieser Faktoren für sich alleine sorgt bereits für sinkende Kinderzahlen. In Kombination führen sie mittelfristig fast zwangsläufig zu weniger Nachwuchs, als für eine stabile Bevölkerung nötig wäre. Realität ist dies bereits in Deutschland, überall in Süd- und Osteuropa und vor allem in Ostasien. In Japan, Südkorea und China liegen die Kinderzahlen je Frau längst unter dem europäischen Niveau. Allein Japan könnte nach Schätzungen des nationalen Statistikamtes bis 2100 zwei Drittel seiner heute noch 127 Millionen Einwohner verlieren. Auch in China dürfte der Bevölkerungsschwund in wenigen Jahren beginnen.

Bekämen die Frauen nach 2100 im Schnitt nur noch 1,85 Kinder, also deutlich mehr als heute in Europa und Ostasien, dann würde die Weltbevölkerungszahl bis 2300 auf nur noch 2,3 Milliarden zurückgehen - auf nicht mal ein Drittel des heutigen Wertes. 1,85 Kinder entsprechen der Fertilitätsrate von Dänemark, einem der am höchsten entwickelten Länder der Welt. In kaum einem Land geht es demokratischer und sozial gerechter zu. Aber diese Idealbedingungen, die auch für andere Länder erstrebenswert sind, führen offensichtlich zu einer schrumpfenden Bevölkerung. Das ist eine gute Nachricht, denn was wäre besser für den Planeten als zufriedene Menschen, die aus freien Stücken dem Bevölkerungswachstum entsagen?

Diese demografische Rückwärtsentwicklung wird nicht ohne Folgen für das Wirtschaftsgeschehen bleiben. Es gibt zwar viele Gründe, warum das Wachstum in den Industrienationen anders als in den Schwellenländern nur noch kleine Sprünge macht: Sie sind vom Konsum her bereits weitgehend gesättigt, die Produktivität steigt nur noch wenig. Das Erlahmen des Wirtschaftswachstums hat aber auch demografische Gründe. Wenn die produktiven Babyboomer ins Rentenalter wechseln, wenn die Bevölkerung altert und zu schrumpfen beginnt, dürften sich die ohnehin geringen Wachstumsraten weiter reduzieren.

Die sozioökonomische Entwicklung, die das Wachstum von Bevölkerung und Wirtschaft und den Menschen ein Leben in Wohlstand überhaupt erst ermöglicht hat, trägt somit dazu bei, dass es wieder ein Ende findet. Dieses Ende des Wachstums ist somit die Folge unseres Handelns und keineswegs das Ergebnis einer weisen, verantwortungsbewussten Planung im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung. Eine Welt ohne Wachstum würde demnach nicht durch Einsicht oder kluge Politik Wirklichkeit, sondern durch die Macht des Faktischen. Auf diese Weise gerät die Menschheit gewissermaßen unfreiwillig auf den Pfad der Nachhaltigkeit. Sie hat das Steuer nicht mehr in der Hand.

Dies ließe sich als die „vierte Kränkung der Menschheit" verstehen. Aber wir haben auch die ersten drei, nach einer gewissen Schockphase, jeweils gut überstanden: Die Einsicht, dass die Erde nicht das Zentrum des Universums ist, sondern nur ein Staubkorn darin; dass der Mensch nicht die Krone der Schöpfung, sondern nur ein gewöhnlicher Teil der Evolution ist; und dass er nicht immer vom freien Willen, sondern von einem Unterbewusstsein gesteuert wird. All diese Erkenntnisse haben die Menschen eher befreit denn gekränkt.

Deshalb wird es Zeit, die Dynamik der gesellschaftlichen Entwicklung als Geschenk zu akzeptieren. Zeit, Gesellschafts- und Wirtschaftsmodelle zu entwickeln, die ein Wohlergehen der Gesellschaften ohne Wachstum ermöglichen, anstatt sich mit allen Kräften gegen das notgedrungene Ende des Wachstums zu wehren. Es wird Zeit, das Schrumpfen lieben zu lernen.

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