„Front" nach Remarques "Im Westen nichts Neues" im Thalia Hamburg
HAMBURG. Luk Perceval ist kein Scharlatan. Er spiegelt nicht wider besseres Wissen vor, er sei ein überdurchschnittliches Theatertalent, er glaubt es vermutlich wirklich. Er überschätzt sich mutmaßlich schrecklich - wohl seit dem Erfolg von „Schlachten" 1999 in Salzburg. Damals amalgamierte er Shakespeares Königsdramen - aber er hatte einen Dramatiker an seiner Seite: Tom Lanoye. Inzwischen wähnt Perceval, er könne selbst Stücke oder Collagen zusammenfügen - welch ein Irrtum.
So auch jetzt wieder mit „Front". Das Thalia in Hamburg und das NTGent (Perceval ist Belgier) arbeiteten zusammen, um an den 1. Weltkrieg zu erinnern - der begann vor hundert Jahren, allenthalben wird das „Jubiläum" aufgegriffen. Perceval und zwei Dramaturgen trugen Texte zum Thema zusammen, einer der wichtigsten ist Erich Maria Remarques Antikriegsroman „Im Westen nichts Neues".
Zu wenig Theater im Theater
Bei der Uraufführung am Samstagabend im Thalia in Hamburg standen neun Stühle und Podeste mit Lesepulten an der Rampe, dort nahmen Schauspieler Platz und begannen mit ihren Texten. Eine postdramatische Inszenierung, wie sie im Buche steht. Die Akteure suchten Lichtjahre Distanz zu ihren Figuren - ja, man konnte Theatergestalten gar nicht mehr erkennen. Statt dessen viele Texte über die Unmenschlichkeit des Krieges. Ohne Entwicklung, geschweige denn dramatische Steigerung.
Zentral ist die Szene mit dem Sturmangriff - aber das Grauen kann die Sprache nicht beschwören, sie bleibt weit hinter dem Erlebnis zurück. Noch schwächer klingt die Musik. Das Donnerblech wurde gerüttelt, was es hergab - gegenüber dem Donner der Geschütze ist das Katzenschnurren. Überhaupt - Ferdinand Försch mit seiner „Live-Musik" wirkte naiv, dem Thema Krieg nicht gewachsen.
Auch die Szene mit dem Giftgasangriff blieb hinter der Herausforderung des Sujets zurück - der Versuch, über das Deklamieren hinauszukommen, missriet. Bernd Grawert versuchte einen Ausflug in den Expressionismus, aber der Mime überschritt statt der Grenzen des Realismus die des unfreiwillig Komischen.
Mehr als ein Leseabend, aber kaum mehr als ein Hörspiel und ganz gewiss kein Stück ist „Front" geworden. Schön, dass die ehemaligen Feinde - es wurde niederländisch (flämisch?), französisch, englisch und deutsch gesprochen - nun zusammen spielen, nach dem gemeinsamen Nenner suchten, den sie in dem unendlichen Leid fanden, den der Krieg verursacht - aber das ist zu wenig. Zuviel Lyrik, zu wenig Analyse.
Keine Kontur
Bühne (Anette Kurz) und Video (Philip Bußmann) machten den Mangel des Abends sichtbar: Schattenhaft, schwer erkennbar hinter Nebeln, waberten, glitten ins Riesige vergrößerte Bilder von Soldaten und Verwundeten des ersten Weltkriegs über die Projektionsfläche im Bühnenhintergrund, halb Ruine, halb Fragment. Theater kann und sollte die Ränder schärfer konturieren, Ross und Reiter kenntlich machen. Das konnten schon die alten Griechen, Euripides hat es mit seinen „Troerinnen" bewiesen.
Wer einen Roman wie „Im Westen nichts Neues" als Vorlage wählt, darf nicht ins Schwammige ausweichen. Der Roman ist knallhart, (nicht zuletzt deshalb) viel besser als „Front".
Luk Perceval ist ein mittelmäßiger, nicht sonderlich phantasiebegabter Regisseur, zum Dramatiker fehlen ihm Handwerk, ja Begabung, von Genie gar nicht zu sprechen. Einer seiner Freunde sollte ihn mal in einer ruhigen Stunde an ein Sprichwort erinnern: Schuster, bleib bei Deinen Leisten!
Ulrich Fischer
Aufführungen am 29. und 30. März; 1. und 25. April - Spieldauer: 120 Min.
Kartentelefon 040 32 81 44 44 - Internet: www.thalia-theater.de
HAMBURG. Luk Perceval ist kein Scharlatan. Er spiegelt nicht wider besseres Wissen vor, er sei ein überdurchschnittliches Theatertalent, er glaubt es vermutlich wirklich. Er überschätzt sich mutmaßlich schrecklich - wohl seit dem Erfolg von „Schlachten" 1999 in Salzburg. Damals amalgamierte er Shakespeares Königsdramen - aber er hatte einen Dramatiker an seiner Seite: Tom Lanoye. Inzwischen wähnt Perceval, er könne selbst Stücke oder Collagen zusammenfügen - welch ein Irrtum.
So auch jetzt wieder mit „Front". Das Thalia in Hamburg und das NTGent (Perceval ist Belgier) arbeiteten zusammen, um an den 1. Weltkrieg zu erinnern - der begann vor hundert Jahren, allenthalben wird das „Jubiläum" aufgegriffen. Perceval und zwei Dramaturgen trugen Texte zum Thema zusammen, einer der wichtigsten ist Erich Maria Remarques Antikriegsroman „Im Westen nichts Neues".
Zu wenig Theater im Theater
Bei der Uraufführung am Samstagabend im Thalia in Hamburg standen neun Stühle und Podeste mit Lesepulten an der Rampe, dort nahmen Schauspieler Platz und begannen mit ihren Texten. Eine postdramatische Inszenierung, wie sie im Buche steht. Die Akteure suchten Lichtjahre Distanz zu ihren Figuren - ja, man konnte Theatergestalten gar nicht mehr erkennen. Statt dessen viele Texte über die Unmenschlichkeit des Krieges. Ohne Entwicklung, geschweige denn dramatische Steigerung.
Zentral ist die Szene mit dem Sturmangriff - aber das Grauen kann die Sprache nicht beschwören, sie bleibt weit hinter dem Erlebnis zurück. Noch schwächer klingt die Musik. Das Donnerblech wurde gerüttelt, was es hergab - gegenüber dem Donner der Geschütze ist das Katzenschnurren. Überhaupt - Ferdinand Försch mit seiner „Live-Musik" wirkte naiv, dem Thema Krieg nicht gewachsen.
Auch die Szene mit dem Giftgasangriff blieb hinter der Herausforderung des Sujets zurück - der Versuch, über das Deklamieren hinauszukommen, missriet. Bernd Grawert versuchte einen Ausflug in den Expressionismus, aber der Mime überschritt statt der Grenzen des Realismus die des unfreiwillig Komischen.
Mehr als ein Leseabend, aber kaum mehr als ein Hörspiel und ganz gewiss kein Stück ist „Front" geworden. Schön, dass die ehemaligen Feinde - es wurde niederländisch (flämisch?), französisch, englisch und deutsch gesprochen - nun zusammen spielen, nach dem gemeinsamen Nenner suchten, den sie in dem unendlichen Leid fanden, den der Krieg verursacht - aber das ist zu wenig. Zuviel Lyrik, zu wenig Analyse.
Keine Kontur
Bühne (Anette Kurz) und Video (Philip Bußmann) machten den Mangel des Abends sichtbar: Schattenhaft, schwer erkennbar hinter Nebeln, waberten, glitten ins Riesige vergrößerte Bilder von Soldaten und Verwundeten des ersten Weltkriegs über die Projektionsfläche im Bühnenhintergrund, halb Ruine, halb Fragment. Theater kann und sollte die Ränder schärfer konturieren, Ross und Reiter kenntlich machen. Das konnten schon die alten Griechen, Euripides hat es mit seinen „Troerinnen" bewiesen.
Wer einen Roman wie „Im Westen nichts Neues" als Vorlage wählt, darf nicht ins Schwammige ausweichen. Der Roman ist knallhart, (nicht zuletzt deshalb) viel besser als „Front".
Luk Perceval ist ein mittelmäßiger, nicht sonderlich phantasiebegabter Regisseur, zum Dramatiker fehlen ihm Handwerk, ja Begabung, von Genie gar nicht zu sprechen. Einer seiner Freunde sollte ihn mal in einer ruhigen Stunde an ein Sprichwort erinnern: Schuster, bleib bei Deinen Leisten!
Ulrich Fischer
Aufführungen am 29. und 30. März; 1. und 25. April - Spieldauer: 120 Min.
Kartentelefon 040 32 81 44 44 - Internet: www.thalia-theater.de