Vom legendären Automobil-Pionier Henry Ford gibt es das schöne Zitat, dass man sein erstes Fließband-Auto, die Tin Lizzy (zu deutsch: „Blechlieschen") in jeder Farbe haben könnte, „solange es nur schwarz ist". Heute ist die Automobilindustrie einen großen Schritt weiter: Nicht nur, dass der geneigte Ford-Kunde mehr als ein Dutzend Modelle zur Auswahl hat (allein für das Brot-und-Butter-Gefährt Ford Focus gibt es 13 Ausstattungsvarianten und dazu eine ellenlange Zubehörliste). Auch stehen statt der einstmals einen Lackfarbe heute deren 14 zur Auswahl.
Genug Variationen also um daraus einige tausend unterschiedliche Fahrzeuge zusammenzubasteln. Und wem das noch nicht reicht, der findet im gut sortierten Zubehörhandel reichlich Auswahl, um seinen fahrbaren Untersatz an eigene Wünsche anzupassen, neudeutsch: zu „customizen". Von nachrüstbaren Flügeltüren bis hin zu Frontscheinwerferwimpern für den verführerischen Look bei Nacht. Und so gilt trotz kostensparendem Großserienbau: Dass sich heute an einer Ampel in Deutschland zwei exakt gleiche Autos begegnen, ist so wahrscheinlich wie ein Sechser im Lotto.
Zum Vergleich die Medienlandschaft zu Henry Fords Zeiten und heute: Im Jahr 1908, als die ersten Exemplare der Tin Lizzy - damals noch von Hand gefertigt - an ihre Kunden gingen, gab es in Deutschland 4.000 verschiedene Tageszeitungen. Es war die Blütezeit der gedruckten Medien, Fernsehen und Radio waren noch nicht erfunden, das Internet nicht einmal kühner Gedanke. Etwas mehr als hundert Jahre später gibt es in Deutschland gerade einmal 350 verschiedene Tageszeitungen. Halt, nein: Seit der letzten Zählung ist schon wieder ein halbes Dutzend von ihnen untergegangen, gerade kürzlich die „AZ" in München.
Zur Erinnerung: Ford hat seine Farbpalette von einer auf 14 Farben heraufgesetzt. Wieviele verschiedene „Farben" bieten die Medien? Offiziell reicht deren politische Meinungsbreite von weit rechts bis extrem links, doch das Gros der Medien bewegt sich irgendwo in einer möglichst unpolitischen Mitte, die keine Leser vergrätzen soll.
Wo einst Geistesriesen wie Kurt Tucholsky für inhaltliche Vielfalt oder Reporter wie Egon Erwin Kisch für spannendste Geschichten sorgten, wird heute farbloser Informationseinheitsbrei aus vorgefertigten Agenturmeldungen aufgewärmt. Allein die Deutsche Presseagentur (dpa) zeichnet wohl für mehr als die Hälfte aller überregionalen Zeitungsinhalte verantwortlich.
Und wer in einer Stadt wie Magdeburg, Kiel oder Saarbrücken (immerhin alles Landeshauptstädte) nach einer Alternative zur örtlichen Abonnementszeitung sucht, sucht vergebens. In immer mehr deutschen Städten gibt es nur noch eine einzige Tageszeitung. Aber auch die Bewohner von Aachen, Essen oder Fürth haben es da nicht besser: Beide dort zur Auswahl stehenden Lokalzeitungen kommen aus dem selben Verlag. Und werden immer öfter von den selben Redakteuren geschrieben, die alle Titel eines Hauses beliefern. Synergieeffekt nennen Verleger das.
Halten wir fest: Über hundert Jahre nach Erfindung des Fließbandes rollen in Städten wie Wolfsburg oder Ingolstadt hundert verschiedene Autotypen vom Fließband, hat man dort beim Bäcker die Auswahl zwischen dutzenden Brot- und Brötchensorten und bietet der lokale Fertighausanbieter über tausend individuell an den jeweiligen Geschmack angepasste Variationen seines Standardbaukastenhauses an. Aber eine zweite Lokalzeitung mit einer zweiten Meinung bekommt der Kunde in beiden Städten nicht.
Fast jede Industriebranche hat im letzten Centennium gelernt, durch die geschickte Verbindung aus Großserie einerseits und Kundenwunsch andererseits Kosten und Individualität miteinander zu versöhnen. Die Medien haben dabei zugeschaut und denken trotzdem noch heute so wie zu Beginn der Industrialisierung. Nein schlimmer: Sie sind stattdessen sogar noch uniformer geworden. Wie der griechische Sagenriese Prokrustes werfen sie alle Leser auf ein Bett in Einheitslänge und malträtieren sie so lange, bis die Leser ins gemachte Bett, respektive zur Zeitung passen. Und nicht die Zeitung zu den Lesern. Deshalb sind die meisten von ihnen mittlerweile aus ihrer Lokalzeitung herausgewachsen wie aus einem zu engen Konfirmationsanzug.
Man kann nicht sagen, dass die Verleger und die von ihnen hoch bezahlten Bleistiftanspitzer in den Taschenrechneretagen dies nicht wüssten und sich nicht ständig nach neuen Ideen umsehen würden. Sie kommen nur leider alle zum selben Misserfolgsrezept: Die Qualität so lange herunterfahren, bis der billigstmögliche Kompromiss gefunden ist. Das Rezept lautet: Keine eigenen, teuren Recherchen, keine unabhängige Berichterstattung, keine Kommentare die Leser oder Politiker verärgern könnten.
Und anschließend alle gedruckten Inhalte noch einmal im meist schlecht gemachten Abonnenten-Bereich der eigenen Website zweitverwursten (um nicht den viel zu schmeichelhaften Euphemismus „zweitverwerten" hier zu missbrauchen). Doch diese Online-Inhalte tut sich ohnehin kaum ein Leser freiwillig an, da er dort mit unzähligen Werbeeinblendungen so lange bombardiert wird, bis sein Smartphone einfriert.
Lesermeinung ist dort oft nur in Form von möglichst vielen Klicks und zustimmenden Kommentaren erwünscht. Doch weil kläglicher Journalismus oft ebenso klägliche Leser-Kommentare anzieht, müssen viele Redaktionen ihre Kommentarspalten erst einmal moderieren und schalten sie nur mit Verzögerung frei - der sicherste Weg um jede Online-Diskussion im Keim zu ersticken.
Die ehemals heilige Kuh Tageszeitung, die einst nicht nur Milch gab, sondern obendrein noch goldene Eier legte, wird nun so lange gemolken, bis sie erschöpft zusammenbricht. Und die wenigen nach der letzten Entlassungsrunde verbliebenen Redakteure gleich mit ihr. Was der Leser am freudlos zusammengeschusterten Inhalt merkt.
Folglich geben die Leser irgendwann frustriert auf und kündigen ihr Abonnement - wahlweise aus Verzweiflung oder Langeweile. Oder weil sie ein Missverhältnis zwischen Preis und Leistung sehen. Was jedes Jahr etwa zwei Prozent von ihnen tun. Nicht einmal sensationelle Treueprämien wie die Original Melitta Kaffeemaschine (Westdeutsche Allgemeine Zeitung) oder der beutellose Bodenstaubsauger von Rowenta (Ostseezeitung) können das flüchtende Publikum noch fesseln. Der Inhalt der zugehörigen Zeitungen schafft das schon lange nicht mehr. Und individuelle, liebevoll gemachte und authentische Kundenansprache sieht ohnehin ganz anders aus. Die aktuelle Leser-Blatt-Bindung kann wohl nur funktionieren, wenn man dem Abonnenten so lange eins mit dem Rowenta-Bodenstaubsauger über den Kopf zieht, bis er benommen die Vertragsverlängerung unterzeichnet.
Klar denkende Leser sagen sich hingegen pragmatisch: Einheitsnachrichten kann man auch im Internet bekommen. Sogar völlig kostenlos und einen Tag früher. Die dpa beliefert nämlich auch über hundert Internet-Nachrichtenportale. So geht das einstige Zeitungsland Deutschland im Zeitlupentempo vor die Hunde.
Das einstige Ford-Erfolgsmodell Tin Lizzy erreichte einst eine stolze Höchstgeschwindigkeit von 70 Stundenkilometern. Das Innovationstempo deutscher Verleger liegt bestenfalls bei 70 Kilometern im Jahrhundert. Und man weiß oft nicht einmal, ob der Vor- oder Rückwärtsgang eingelegt ist.
Blog: blog.kommunikation360.de
Genug Variationen also um daraus einige tausend unterschiedliche Fahrzeuge zusammenzubasteln. Und wem das noch nicht reicht, der findet im gut sortierten Zubehörhandel reichlich Auswahl, um seinen fahrbaren Untersatz an eigene Wünsche anzupassen, neudeutsch: zu „customizen". Von nachrüstbaren Flügeltüren bis hin zu Frontscheinwerferwimpern für den verführerischen Look bei Nacht. Und so gilt trotz kostensparendem Großserienbau: Dass sich heute an einer Ampel in Deutschland zwei exakt gleiche Autos begegnen, ist so wahrscheinlich wie ein Sechser im Lotto.
Zum Vergleich die Medienlandschaft zu Henry Fords Zeiten und heute: Im Jahr 1908, als die ersten Exemplare der Tin Lizzy - damals noch von Hand gefertigt - an ihre Kunden gingen, gab es in Deutschland 4.000 verschiedene Tageszeitungen. Es war die Blütezeit der gedruckten Medien, Fernsehen und Radio waren noch nicht erfunden, das Internet nicht einmal kühner Gedanke. Etwas mehr als hundert Jahre später gibt es in Deutschland gerade einmal 350 verschiedene Tageszeitungen. Halt, nein: Seit der letzten Zählung ist schon wieder ein halbes Dutzend von ihnen untergegangen, gerade kürzlich die „AZ" in München.
Zur Erinnerung: Ford hat seine Farbpalette von einer auf 14 Farben heraufgesetzt. Wieviele verschiedene „Farben" bieten die Medien? Offiziell reicht deren politische Meinungsbreite von weit rechts bis extrem links, doch das Gros der Medien bewegt sich irgendwo in einer möglichst unpolitischen Mitte, die keine Leser vergrätzen soll.
Wo einst Geistesriesen wie Kurt Tucholsky für inhaltliche Vielfalt oder Reporter wie Egon Erwin Kisch für spannendste Geschichten sorgten, wird heute farbloser Informationseinheitsbrei aus vorgefertigten Agenturmeldungen aufgewärmt. Allein die Deutsche Presseagentur (dpa) zeichnet wohl für mehr als die Hälfte aller überregionalen Zeitungsinhalte verantwortlich.
Und wer in einer Stadt wie Magdeburg, Kiel oder Saarbrücken (immerhin alles Landeshauptstädte) nach einer Alternative zur örtlichen Abonnementszeitung sucht, sucht vergebens. In immer mehr deutschen Städten gibt es nur noch eine einzige Tageszeitung. Aber auch die Bewohner von Aachen, Essen oder Fürth haben es da nicht besser: Beide dort zur Auswahl stehenden Lokalzeitungen kommen aus dem selben Verlag. Und werden immer öfter von den selben Redakteuren geschrieben, die alle Titel eines Hauses beliefern. Synergieeffekt nennen Verleger das.
Halten wir fest: Über hundert Jahre nach Erfindung des Fließbandes rollen in Städten wie Wolfsburg oder Ingolstadt hundert verschiedene Autotypen vom Fließband, hat man dort beim Bäcker die Auswahl zwischen dutzenden Brot- und Brötchensorten und bietet der lokale Fertighausanbieter über tausend individuell an den jeweiligen Geschmack angepasste Variationen seines Standardbaukastenhauses an. Aber eine zweite Lokalzeitung mit einer zweiten Meinung bekommt der Kunde in beiden Städten nicht.
Fast jede Industriebranche hat im letzten Centennium gelernt, durch die geschickte Verbindung aus Großserie einerseits und Kundenwunsch andererseits Kosten und Individualität miteinander zu versöhnen. Die Medien haben dabei zugeschaut und denken trotzdem noch heute so wie zu Beginn der Industrialisierung. Nein schlimmer: Sie sind stattdessen sogar noch uniformer geworden. Wie der griechische Sagenriese Prokrustes werfen sie alle Leser auf ein Bett in Einheitslänge und malträtieren sie so lange, bis die Leser ins gemachte Bett, respektive zur Zeitung passen. Und nicht die Zeitung zu den Lesern. Deshalb sind die meisten von ihnen mittlerweile aus ihrer Lokalzeitung herausgewachsen wie aus einem zu engen Konfirmationsanzug.
Man kann nicht sagen, dass die Verleger und die von ihnen hoch bezahlten Bleistiftanspitzer in den Taschenrechneretagen dies nicht wüssten und sich nicht ständig nach neuen Ideen umsehen würden. Sie kommen nur leider alle zum selben Misserfolgsrezept: Die Qualität so lange herunterfahren, bis der billigstmögliche Kompromiss gefunden ist. Das Rezept lautet: Keine eigenen, teuren Recherchen, keine unabhängige Berichterstattung, keine Kommentare die Leser oder Politiker verärgern könnten.
Und anschließend alle gedruckten Inhalte noch einmal im meist schlecht gemachten Abonnenten-Bereich der eigenen Website zweitverwursten (um nicht den viel zu schmeichelhaften Euphemismus „zweitverwerten" hier zu missbrauchen). Doch diese Online-Inhalte tut sich ohnehin kaum ein Leser freiwillig an, da er dort mit unzähligen Werbeeinblendungen so lange bombardiert wird, bis sein Smartphone einfriert.
Lesermeinung ist dort oft nur in Form von möglichst vielen Klicks und zustimmenden Kommentaren erwünscht. Doch weil kläglicher Journalismus oft ebenso klägliche Leser-Kommentare anzieht, müssen viele Redaktionen ihre Kommentarspalten erst einmal moderieren und schalten sie nur mit Verzögerung frei - der sicherste Weg um jede Online-Diskussion im Keim zu ersticken.
Die ehemals heilige Kuh Tageszeitung, die einst nicht nur Milch gab, sondern obendrein noch goldene Eier legte, wird nun so lange gemolken, bis sie erschöpft zusammenbricht. Und die wenigen nach der letzten Entlassungsrunde verbliebenen Redakteure gleich mit ihr. Was der Leser am freudlos zusammengeschusterten Inhalt merkt.
Folglich geben die Leser irgendwann frustriert auf und kündigen ihr Abonnement - wahlweise aus Verzweiflung oder Langeweile. Oder weil sie ein Missverhältnis zwischen Preis und Leistung sehen. Was jedes Jahr etwa zwei Prozent von ihnen tun. Nicht einmal sensationelle Treueprämien wie die Original Melitta Kaffeemaschine (Westdeutsche Allgemeine Zeitung) oder der beutellose Bodenstaubsauger von Rowenta (Ostseezeitung) können das flüchtende Publikum noch fesseln. Der Inhalt der zugehörigen Zeitungen schafft das schon lange nicht mehr. Und individuelle, liebevoll gemachte und authentische Kundenansprache sieht ohnehin ganz anders aus. Die aktuelle Leser-Blatt-Bindung kann wohl nur funktionieren, wenn man dem Abonnenten so lange eins mit dem Rowenta-Bodenstaubsauger über den Kopf zieht, bis er benommen die Vertragsverlängerung unterzeichnet.
Klar denkende Leser sagen sich hingegen pragmatisch: Einheitsnachrichten kann man auch im Internet bekommen. Sogar völlig kostenlos und einen Tag früher. Die dpa beliefert nämlich auch über hundert Internet-Nachrichtenportale. So geht das einstige Zeitungsland Deutschland im Zeitlupentempo vor die Hunde.
Das einstige Ford-Erfolgsmodell Tin Lizzy erreichte einst eine stolze Höchstgeschwindigkeit von 70 Stundenkilometern. Das Innovationstempo deutscher Verleger liegt bestenfalls bei 70 Kilometern im Jahrhundert. Und man weiß oft nicht einmal, ob der Vor- oder Rückwärtsgang eingelegt ist.
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